Die Vorfahren der Xu-Familie hatten ein Stück Land an ihre Nachkommen weitergegeben. In Verbindung mit der Tatsache, dass Kompaniechef Xu aus einer Militärfamilie stammte, bedeutete dies, dass er für lokale Verhältnisse als wohlhabend galt. Sein Haushalt war zwar bescheiden, aber sie hatten die Mittel, um eine Dienstmagd für das Kochen, Putzen und andere häusliche Aufgaben einzustellen.
Die alte Küchenmagd der Familie Xu beendete langsam die
Zubereitung des Frühstücks, als der Himmel sich aufzuhellen begann. Sie klopfte
an die Tür des Arbeitszimmers von Chang Geng. „Junger Herr", sagte sie, „die
gnädige Frau fragte, ob Sie mit ihr in ihrem Zimmer frühstücken würden."
Chang Geng war ganz in seine Kalligrafie vertieft, aber als
er dies hörte, erstarrte seine Hand. Dann sagte er wie immer: „Ich passe. Sie
mag Ruhe und Frieden, also möchte ich sie nicht stören. Bitte grüßen Sie sie
von mir und lasst sie wissen, dass ich hoffe, dass es ihr gut geht."
Die alte Küchenmagd war von seiner Antwort nicht
überrascht. Diese tägliche Frage- und Antwortrunde zwischen Mutter und Sohn war
eine Routineangelegenheit.
Aber um ehrlich zu sein, war ein es Krampf. Kompaniechef Xu
war nichts weiter als ein Stiefvater, während Chang Geng und Xiu-Niang
blutsverwandt waren. Doch nur während der wenigen Tage, die Kompaniechef Xu zu
Hause verbrachte, legten Mutter und Sohn eine Pantomime des elterlichen
Mitgefühls und der kindlichen Pietät an den Tag. Erst dann kam Chang Geng zum
Essen an denselben Tisch und begrüßte seine Eltern morgens und abends.. Sobald
der Meister das Haus verließ, wurde ihre Beziehung kälter und distanzierter als
bei Fremden. Sie ignorierten die Existenz des anderen völlig und lebten nicht
mehr unter demselben Dach. Chang Geng benutzte nicht einmal mehr das Vordertor
und ging stattdessen jeden Tag durch das Ecktor ein und aus, auch wenn er nur nach
nebenan ging. Es verging kaum eine Woche, in der sich die Wege von Mutter und
Sohn nicht kreuzten.
Selbst in dem Jahr, in dem Chang Geng an der gefährlichen
Krankheit litt, zeigte Xiu-Niang keine Besorgnis und stattete ihm nur einen
kurzen Besuch ab. Es war ihr völlig gleichgültig, ob ihr einziger Sohn lebte
oder starb. Stattdessen war es Meister Shiliu gewesen, der das Kind nach Hause
trug und wieder gesund pflegte.
Die alte Küchenmagd hatte sich immer gefragt, ob Xia-Niang
vielleicht nicht die leibliche Mutter von Cheng Geng war, aber Mutter und Sohn
waren sich körperlich so ähnlich, dass sie ganz sicher blutsverwandt waren. Außerdem,
würde eine zarte, wehrlose Frau, die sich kaum selber beschützen konnte, weil
sie so weit von zu Hause weg war, sich weiter um dieses Kind kümmern, wenn sie
es nicht geboren hätte?
Das ergab keinen logischen Sinn.
Die alte Küchenmagd brachte Chang Geng eine geteilte Box
mit Essen. „Es scheint, dass der Meister heute wieder in der Stadt geht. Die
gnädige Frau bittet Euch, früher nach Hause zu kommen."
Chang Geng wusste, was sie meinte. Jetzt, wo Kompaniechef
Xu zurück war, würden sie das Theater und ihre Rollen wie üblich aufführen
müssen. Er nickte. "Ich verstehe."
Als Chang Gengs Blick auf die Box mit den Lebensmitteln
fiel, bemerkte er eine lange Haarsträhne, die den Griff verunzierte. Sofort zog
er die Hand zurück, die er zur Aufnahme der Box ausgestreckt hatte. Das Haar der
alten Küchenmagd war bereits so weiß geworden, also war diese lange Strähne
weichen schwarzen Haares nicht ihres. Kompaniechef Xu war noch nicht
zurückgekehrt, und so gab es zwischen der Familie und der Bedienstete nur drei
lebende Seelen. Wenn das Haar nicht der alten Küchenmagd gehörte, konnte es nur
Xiu-Niang gehören.
Chang Geng hatte einen seltsamen Sauberkeitswahn, der nur
für Xiu-Niang galt.
Wenn er nebenan aß, war es für ihn in Ordnung, aus der
Schüssel seines Paten zu essen, aber wenn er zu Hause war, weigerte er sich,
auch nur einen Bissen von dem zu nehmen, was Xiu-Niang angefasst hatte. Die
alte Küchenmagd war sich dieser Eigenart bewusst und entfernte hastig die
Haarsträhne. Mit einem entschuldigenden Lächeln sagte sie: „Dies wurde von der gnädigen
Frau versehentlich auf der Box zurückgelassen. Sie versichert, dass niemand die
Pasteten angefasst hat, seit ich sie aus dem Ofen genommen habe."
Chang Geng lächelte sie höflich an. „Natürlich.
Zufälligerweise habe ich heute ein paar Fragen an Shen-Xiansheng. Ich werde
später zu meinem Yifu zum Essen gehen."
Schließlich weigerte er sich, das Essen anzunehmen. Er nahm
sein Buch, klemmte es unter den Arm, nahm sein Schwert, das hinter der Tür lag,
und ging ohne ein weiteres Wort.
_______________________
Nebenan stand Shen-Xiansheng mit hochgekrempelten Ärmeln im
Innenhof. Er war gerade dabei, mehrere zusammengesetzte Stahlrüstungen zu ölen.
Diese Rüstungen stammten aus der Garnison. Die in der Stadt
Yanhui stationierten Truppen hatten ihre eigenen Handwerker, die sich auf die
Instandhaltung militärischer Rüstungen spezialisiert hatten, aber es gab so
viele Rüstungen, dass sie immer alle Hände voll zu tun hatten. Daher hatten sie
auch Kunsthandwerker aus der Zivilbevölkerung rekrutiert, die bei Bedarf
aushalfen.
Kunsthandwerker waren Handwerker, die ihre ganze Zeit damit
verbrachten, Rüstungen und Maschinen zu reparieren oder mit diesen großen
Eisenkameraden zu arbeiten. Technisch gesehen konnte man sie als Handwerker
bezeichnen, aber für das einfache Volk war es ein niederer Beruf, der sich
nicht von dem eines Türstehers, Fußpflegers oder Barbiers unterschied. Wer diesen
Beruf wählte, musste sich zwar nie Sorgen machen, ob er das Essen auf den Tisch
bringen konnte, aber es war auch kein besonders angesehener Beruf. Es war
schwer zu sagen, was einen gelehrten Mann wie Shen-Xiansheng zu einem so
seltsamen Beruf trieb. Er tüftelte in seiner Freizeit nicht nur gerne an
Geräten herum, sondern versuchte sich auch oft als Handwerker, um sich etwas
Taschengeld zu verdienen.
Shen Shiliu, der ungewollte Eindringling aus den Träumen des
Teenagers, saß gerade mit ausgestreckten Beinen auf der Schwelle und lehnte mit
seinem Körper kraftlos am Türrahmen. Neben ihm stand eine leere Medizinschüssel
— er wusste nicht einmal, dass er sie nach der Benutzung auswaschen sollte.
Shiliu streckte sich lethargisch und winkte Cheng Geng mit
einer lustlosen Hand zu, als dieser eintrat: „Sohn, hol mir einen Becher
Wein."
„Ignoriere ihn", sagte Shen-Xiansheng zu Cheng Geng,
dessen Hände mit Motoröl verschmiert waren und der schweißgebadet war. „Hast du
schon gegessen?"
„Noch nicht."
Shen-Xiansheng drehte sich um und fuhr Shiliu an: „Seit du
heute Morgen aufgestanden bist, hast du nichts anderes getan, als
herumzulungern und darauf zu warten, gefüttert zu werden! Kannst du dich nicht
nützlich machen? Geh dich waschen und koche dir einen Reisbrei!"
Shen Shiliu neigte den Kopf zur Seite und stellte den
perfekten Grad der Taubheit her, als er in einem verärgerten, gleichmäßigen Ton
sagte: „Hä? Was?"
„Ich werde es tun." Chang Geng war daran gewöhnt. „Welchen
Reis soll ich nehmen?"
Diesmal hörte Shiliu sie. Er hob seine langen, schmalen
Augenbrauen und sagte zu Shen-Xiansheng: „Hör auf, den Jungen
herumzukommandieren. Warum tust du es nicht?"
Shen-Xiansheng war ein sanfter und kultivierter Gelehrter,
aber sein ruinöser Schurke von einem jüngeren Bruder machte ihn jeden Tag so
wütend, dass sein ganzes Gesicht mit heiligem Feuer zu lodern schien. „Hatten
wir nicht vereinbart, dass wir uns abwechseln? Es ist nicht deine Schuld, dass
du nicht hören kannst, aber warum hältst du als erwachsener Mann nie dein Wort?"
Shen Shiliu wandte denselben alten Trick an, indem er
erneut ‘nicht hörte‘ und sich an Chang Geng wandte: „Was quasselt er da?"
Chang Geng war sprachlos. Ehrlich gesagt, taub zu sein war
bemerkenswert praktisch.
„Er sagte..." Chang Geng ließ den Kopf sinken und
begegnete Shilius spielerischem Blick direkt. Für den Bruchteil einer Sekunde
tauchten Szenen aus dem Traum der letzten Nacht vor seinen Augen auf. Plötzlich
wurde ihm klar, dass er doch nicht so gleichgültig war, wie er dachte. Chang
Gengs Kehle wurde ein wenig trocken. Er fasste sich eilig und sagte mit
ausdrucksloser Miene: „Du solltest besser stillhalten, alter Mann. Benimm dich
nicht so schamlos am frühen Morgen."
Shen Shiliu hatte heute noch keine Zeit gehabt, sich in
einen Vollrausch zu saufen, und so war das bisschen Gewissen, das er noch
hatte, noch nicht in Trübsinn aufgegangen. Strahlend ergriff er Chang Gengs
Hand und zog sich damit in den Stand. Er klopfte dem Jungen innig auf den
Hinterkopf und torkelte unsicher in die Küche. Erstaunlicherweise machte er
sich tatsächlich an die Arbeit. Es war ein seltenes Phänomen, Meister Shiliu
bei einer produktiven Tätigkeit zu beobachten — ein seltenes Ereignis,
vergleichbar mit der Blüte eines Eisenbaums.
Chang Geng eilte ihm nach und sah, wie sein Pate achtlos
nach einer Handvoll Reis griff und ihn in einen Topf warf. Mit einer Reihe von
Spritzern schöpfte er etwas Wasser, um den Reis zu waschen, wobei er überall
nasse Tropfen verspritzte. Dann steckte er zwei Finger in den Topf und rührte
kurz um, bevor er sie wieder herauszog und die Wassertropfen abschnippte. „Der
Reis ist zur Hälfte gewaschen", verkündete er. „Und jetzt komm her, Shen
Yi. Du bist dran."
Shen-Xiansheng wusste nicht, was er sagen sollte.
Shen Shiliu griff mit einer Handbewegung nach dem Becher
Wein, der auf dem Herd stand, neigte seinen Kopf und nahm einen großen Schluck.
Seine Bewegungen waren so geschmeidig wie treibende Wolken und fließendes
Wasser, vollkommen präzise in der Ausführung... Manchmal vermutete Chang Geng,
dass sogar die angebliche Blindheit seines Paten vorgetäuscht war.
Vielleicht hatte Shen-Xiansheng aufgegeben. Er fügte sich
in sein Schicksal und wusch sich die Hände mit einem Stück Honigheuschreckenseife,
wobei er die ganze Zeit fluchte. Er eilte in die Küche, um einen Dampfkorb für
das Gebäck aufzustellen, und begann, das Chaos aufzuräumen, das Shiliu
hinterlassen hatte. In der Zwischenzeit holte Chang Geng die Kalligrafien
heraus, die er am Morgen abgepaust hatte, und zeigte sie Shen-Xiansheng eine
nach der anderen. Als Shen Yi mit seinem Kommentar fertig war, stopfte Chang
Geng jedes Blatt Papier in den Ofen, um das Feuer zu schüren.
„Ich sehe, dass du in letzter Zeit hart gearbeitet hast;
deine Schrift hat sich ziemlich verbessert", sagte Shen-Xiansheng. „Wie
ich sehe, hast du eine Abschrift der Inschrift des Grafen von Anding, Gu Yun, vom
‘Pavillon am Straßenrand‘ nachgezeichnet?“
„Mmhm", bestätigte Chang Geng.
Shiliu stand untätig daneben, aber als er das hörte, drehte
er sich um. Ein merkwürdiger Ausdruck flackerte über sein Gesicht.
Shen-Xiansheng blieb mit gesenktem Kopf stehen. „Der Graf
von Anding war fünfzehn Jahre alt, als er seine ersten Truppen anführte und
sich mit einer einzigen Schlacht einen Namen machte. Im Alter von siebzehn
Jahren übernahm er das Kommando über den Westfeldzug. Als die Armee an einem
Rastplatz am Rande der Stadt Xiliang vorbeikam, sah er die uralten Überreste,
die unsere Vorväter hinterlassen hatten. Obwohl seit der Gründung unserer
großen Nation mehr als ein Jahrhundert vergangen ist, können wir immer noch auf
die Kulissen früherer Dynastien blicken. Von diesem Gedanken bewegt, schrieb er
die ‘Rhapsodie über den Pavillon am Wegesrand‘. Das Gedicht wäre wahrscheinlich
schnell in Vergessenheit geraten, wenn nicht einige Speichellecker in seinen
Reihen es heimlich aufbewahrt und in eine Stele eingemeißelt hätten.
„Gu Yun wurde vom größten Gelehrten unserer Zeit, Mosen-Xiansheng,
persönlich in Kalligrafie unterrichtet, so dass sich aus dem Studium seiner
Schreibkunst gewiss einige Verdienste ableiten lassen. Allerdings war er noch
sehr jung, als er die ‘Rhapsodie über den
Pavillon am Wegesrand‘ schrieb. Nachdem er in so jungen Jahren einen so großen
Erfolg erzielt hatte, hatte er zwangsläufig eine etwas übertriebene und unreife
Meinung von seinen eigenen Fähigkeiten. Es gibt so viele Abschriften alter
Inschriften, die man kopieren kann, wenn man das Schreiben üben will. Warum
hast du die Inschrift einer lebenden Person gewählt?"
Chang Geng rollte das mit Tinte bedeckte Papier zusammen
und schob es erbarmungslos ins Feuer. „Ich habe gehört, dass die Divisionen
Schwarze Falken, Schwarzer Panzer und Schwarzes Ross des Schwarzen
Eisenbataillons unter dem Kommando des ehemaligen Grafen die achtzehn
Barbarenstämme vernichtet haben. Später, als sein Sohn seinen Titel und sein
Kommando erbte, erzwang das Bataillon die Kapitulation der Plünderer in den
westlichen Regionen. Es ist nicht so, dass ich seine Kalligrafie besonders mag.
Ich war nur neugierig auf die Handschrift des Kommandeurs des Schwarzen
Eisenbataillons."
Shen-Xiansheng rührte weiter mechanisch mit der Schöpfkelle
in der Hand im Topf, aber sein Blick schweifte ab. Nach einem langen Moment
sagte er langsam: „Der Nach- und Vorname des Grafen von Anding ist Gu Yun. Der
Höflichkeitsname, den man ihm gab, als er volljährig wurde, ist Zixi. Er ist
der einzige Sohn der ältesten Tochter des verstorbenen Kaisers und des
ehemaligen Grafen von Anding. Seine Eltern starben, als er noch ein Kind war,
und so hatte Seine Majestät Mitleid mit ihm und zog ihn im kaiserlichen Palast
auf. Seine Majestät verlieh ihm auch einen besonderen Adelstitel. Als geborener
Aristokrat hätte er seine Tage in Reichtum und Komfort verbringen können, doch
er bestand darauf, in die westlichen Regionen zu gehen, um sich am Sand zu
laben. Ich weiß nicht, ob ich ihn als Helden bezeichnen würde; es könnte
durchaus sein, dass ein oder zwei Schrauben in seinem Kopf locker sind."
Shen-Xiansheng trug eine alte Robe, die am Saum mit
Rüstungsschmiere befleckt und von zu vielen Wäschen weiß verblasst war. Eine unglücklich
aussehende Schürze hing um seinen Hals. Die Brüder schlugen sich einen Tag nach
dem anderen ohne eine einzige Frau im Haus durch, und jeder Mann war
schändlicher als der andere. Was die Schürze anging, so war es schwer zu sagen,
ob sie auch nur einmal gewaschen worden war, seit sie ihnen in die Hände
gefallen war. Die ursprüngliche Farbe des Kleidungsstücks war nicht zu
erkennen, und um Shen-Xianshengs Körper gewickelt sah sie völlig deplatziert
aus.
Nur sein Gesicht war gut ausgeprägt. Shen Yi hatte einen
hohen Nasenrücken, und wenn er aufhörte zu scherzen, hatte sein Profil eine
kalte, fast bedrohliche Aura. Mit einem Zucken seiner Augenlider sagte er: „Seit
dem Tod des ehemaligen Grafen hat das Schwarze Eisenbataillon zu viele große
Dinge erreicht. Das macht die Machthaber unruhig. Hinzu kommt, dass viele
kriecherische Höflinge, die sich bei Seiner Majestät beliebt machen wollen,
Amok laufen..."
„Shen Yi." Er wurde plötzlich von Shiliu unterbrochen,
die die ganze Zeit über geschwiegen hatte.
Die beiden, die am Herd standen, sahen unisone zu ihm
hinüber. Shiliu untersuchte ein kleines Spinnennetz, das am Türrahmen hing. Er
war nicht der Typ, der vom Wein errötet; vielmehr schien sein Gesicht blasser
zu werden, je mehr er trank. Die wenigen Emotionen, die er besaß, schienen sich
in seinen Augen zu sammeln, und es war schwierig, seine Stimmung zu erkennen.
„Verbreite keinen Unsinn", sagte er leise.
Die Shen-Brüder legten nie viel Wert auf das Alter. Der
Jüngere respektierte den Älteren häufig nicht, während der Ältere bis zum
Äußersten ging, um den Jüngeren zu verwöhnen. Sie verbrachten jeden Tag damit,
sich von morgens bis abends zu streiten, aber sie waren immer sehr zärtlich
zueinander.
Chang Geng hatte Shiliu noch nie mit solcher Strenge sprechen
hören. Der Junge war von Natur aus ein sensibler Mensch. Obwohl er nicht
verstand, was vor sich ging, runzelte er die Stirn.
Shen Yi biss kurz die Zähne zusammen, bevor er bemerkte,
dass Chang Geng ihn beobachtete. Er konnte seine Emotionen nur mit Mühe
unterdrücken und sagte lächelnd: „Entschuldige, wenn ich mich falsch
ausgedrückt habe, aber ist die Verleumdung des kaiserlichen Hofes nicht der
perfekte Smalltalk für ein Essen? Ich meinte ja nur."
Chang Geng spürte die Unbehaglichkeit in der Luft und
wechselte geschickt das Thema. „Also, wer hatte in den zehn Jahren zwischen der
Nordexpedition und dem Westfeldzug das Kommando über das Schwarze
Eisenbataillon?"
„Niemand", sagte Shen Yi. „Eine Zeit lang war es ruhig
um das Schwarze Eisenbataillon. Einige Soldaten verließen es, andere starben.
Die meisten der Veteranen, die weiter dienten, waren entmutigt, weil man sie im
Stich ließ. Im Laufe eines Jahrzehnts waren die Elitetruppen von einst längst
durch eine neue Generation von Soldaten ersetzt worden. Außerdem war ihre
Ausrüstung seit Jahren nicht mehr modernisiert worden und völlig veraltet.
„Das war die Situation bis vor einigen Jahren, als die
Rebellion in den westlichen Regionen ausbrach. In dieser Zeit der Krise blieb
dem kaiserlichen Hof keine andere Wahl: Er erlaubte dem Grafen von Anding, die
Führung zu übernehmen und das Schwarze Eisenbataillon wiederzubeleben. Anstatt
zu sagen, dass Marschall Gu das Schwarze Eisenbataillon anführte, sollte man
besser sagen, dass er einen neuen Kader von
Elitetruppen in den westlichen Regionen gründete. Wenn du die Gelegenheit hast,
kannst du versuchen, seine aktuelle Kalligrafie zu studieren."
Chang Geng war etwas verblüfft. „Könnte es sein, dass Shen-Xiansheng
spätere Schriften des Grafen von Anding gesehen hat?"
Shen Yi lächelte. „Es ist äußerst selten, aber hin und
wieder sieht man in den Buchläden eine oder zwei Schriftrollen, die behaupten,
seine authentischen Schriften zu sein. Ob sie echt sind oder nicht, kann ich
nicht beurteilen."
Während er sprach, pustete er in den weißen Dampf, der aus
dem Kochtopf aufstieg, und begann dann, das Essen zum Tisch zu tragen. Chang
Geng trat taktvoll vor, um zu helfen, aber als er mit dem Reisbrei an Shen
Shiliu vorbeiging, schoss die Hand des Invaliden hervor und griff nach seiner
Schulter.
Chang Geng hatte seinen Wachstumsschub früh erreicht und war größer und
kräftiger als die meisten Jungen in seinem Alter. Obwohl sein Körper noch nicht
ganz ausgereift war, war er schon fast so groß wie sein junger Pate und konnte
Shiliu direkt in die Augen sehen, wenn er sein Kinn nur leicht anhob. Shiliu
hatte ein Paar typischer Pfirsichblütenaugen — sanft
geschwungen, mit Augenwinkeln, die leicht nach oben geneigt sind — aber ihre
verführerische Form war nur zu erkennen, wenn sein Blick weich wurde und in die
eine oder andere Richtung huschte. Denn immer, wenn sich seine Augen
konzentrierten, war es, als enthielten seine Pupillen ein Paar nebelumhüllte
Abgründe, die so dunkel waren, dass sie unergründlich waren.
Chang Gengs Herz klopfte in seiner Brust. Er senkte die
Stimme und griff absichtlich zu dem Spitznamen, den er so selten benutzte. „Yifu,
was ist los?"
„Du bist noch ein Kind, also hör auf, davon zu träumen, ein
Held zu werden", sagte Shiliu geistesabwesend. „Bekommen Helden jemals ein
Happy End? Solange du etwas zu essen und Kleidung zum Anziehen hast, solange du
schlafen kannst, ohne dir Gedanken über den nächsten Tag zu machen, ist das
bereits das beste Leben, das du führen kannst. Auch wenn es langweilig ist, selbst
wenn es dir schwerfällt, wird es dir gut gehen."
Shiliu verbrachte die meiste Zeit damit, so zu tun, als sei
er taub und stumm, und sagte nur sehr selten etwas von Wert. Jetzt hatte er
endlich den Mund aufgemacht, nur um Chang Geng in die Parade zu fahren. Als
halb blinder, halb tauber Krüppel war es nur natürlich, dass es diesem Mann an
Ehrgeiz und Tatkraft mangelte. Aber wie konnte ein kleiner Junge es ertragen,
einem solch resignierten, demoralisierenden Gerede zuzuhören?
Chang Geng spürte, dass Shiliu auf ihn herabblickte.
Verärgert dachte er: Wenn wir alle unsere Zeit so verplempern wie du, wer
wird dann in Zukunft den Haushalt führen? Wer wird sich um dich kümmern und
dafür sorgen, dass du etwas zu essen und Kleidung zum Anziehen hast? Das ist
viel leichter gesagt als getan.
Er duckte sich unter Shilius Hand weg und sagte kurz: „Hör
auf, herumzualbern. Du verbrennst dich noch an dem Reisbrei."
Erklärungen:
Blüte eines Eisenbaums, 铁树, tieshu, oder ‘Eisenbaum‘,
ist die chinesische Bezeichnung für die Sagopalme, die ihren Namen der
ungewöhnlich hohen Dichte ihres Holzes verdankt. Die Sagopalme blüht sehr
selten, daher der Ausdruck ‘ein Eisenbaum blüht einmal alle tausend Jahre‘, der
verwendet wird, um unglaublich seltene Ereignisse zu beschreiben.
Eine Rhapsodie war
ursprünglich ein von griechischen Wandersängern, den Rhapsoden, vorgetragenem
Gedicht oder Teil einer Dichtung. Heute versteht man unter Rhapsodie ein Vokal-
oder Instrumentalwerk, das an keine spezielle Form in der Musik gebunden ist
Kader bezeichnet eine Gruppe von
besonders ausgebildeten oder geschulten Personen, die wichtige Funktionen in
Partei, Wirtschaft, Staat oder Ähnlichen haben. Der Ausdruck Kader bezeichnete
ursprünglich eine besondere Gruppe militärischer Vorgesetzter.
⇐Vorheriges Kapitel Nächstes Kapitel⇒
also auch wenn der so krank ist das er fast nichts machen kann lässt er es sich zu gut gehen und ab und zu habe ich das gefühl das er sehrwoll einen versteht und sieht aber es ausnutzt . er nutzt auch auch sehr gerne seinen bruder aus um seine sachen von im zu machen. und dann nur trinken obwoll er fast nichts macht. da hat er aber ein tema gesagt wo sein jüngerer bruder gleich was dagegen gemacht hat. jetzt bin ich auch neugierig was es sein könnte. also das am schluss was er sich denkt als sein yifu etwas sagt stimme ich zu was kann er schon alleine ausrichten, freu mich wenns weiter geht.
AntwortenLöschenIch glaube , dass sich Shen Shiliu gerne verwöhnen lässt, erst recht wenn ihn Chang Geng verwöhnt.
LöschenShen Shiliu scheint wohl eine sehr hohe Alkoholtoleranz zu besitzen, aber ist das wirklich verwunderlich bei seinem Weinkonsum?
Ich finde es nur süß, dass Chan Geng seine Pflicht/Aufgabe ziemlich ernst nimmt und sich selbst dann noch um seinen Yifu kümmern will, selbst wenn er Erwachsen ist. Dabei sollte doch Shen Shiliu es auf jeden Fall bis dahin alleine auf die Reihe kriegen, für sich selbst zu sorgen.