Kapitel 40 ~ Affenjagd

Oben auf dem Gipfel des Berges wurde langsam eine große Flagge in die Luft gehisst. Auf den ersten Blick schien es das Banner eines weiteren "Dorf der Aprikosenblüten" zu sein, aber als der Wind sie vollständig entfaltete, wurden die Worte "Aprikosenhain" deutlich. Die Gestalten zahlreicher großer und kleiner Bergbanditen traten aus ihren Verstecken hinter Bäumen und Büschen hervor. Alle trugen grobe, selbstgefertigte Rüstungen und standen mit gezückten Pfeilen die auf die Gruppe am Fuße des Berges gerichtet wurden dort.

An den Hängen über ihnen blitzte Silber auf. Als Chang Geng nach oben schielte, sah er auf dem Gipfel des Berges eine Schwere Rüstung stehen, die wer weiß woher gestohlen worden war. Das Gesicht der Person in der Rüstung war unter ihrem Visier verborgen, aber sie stand offen da wie eine Zielscheibe, die darauf wartet, getroffen zu werden. Fast wollte Chang Geng über diese Bande von Wegelagerern lachen, die es geschafft hatten, den Grafen des Friedens ins Visier zu nehmen. Doch als er sich umdrehte, stellte er fest, dass Gu Yun überhaupt nicht lächelte. Ganz im Gegenteil ‒ seine Miene war erschreckend finster, als er ein Wort zwischen den Zähnen hervorpresste: „Narren."

Chang Geng rechnete kurz nach, dann senkte er die Stimme. „Es ist also nicht nur ein Gerücht, dass die Beamten an der Südlichen Grenze mit Banditen zusammenarbeiten? Es ist tatsächlich wahr?"

Gu Yun schwieg, aber sein Gesicht wurde noch grimmiger.

Solange es eine Groß-Liang-Dynastie gab, waren Perlen die lokale Spezialität des Ostmeeres, feiner Wein die lokale Spezialität von Loulan und Bergbanditen die lokale Spezialität der Südlichen Grenze gewesen.

Durch den Einsatz der Ackerpuppen in den letzten Jahren konnten die Bauern keine Arbeit mehr finden. Einige schlossen sich den fahrenden Händlern an und zogen nach Norden, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, während andere aus unverständlichen Gründen beschlossen, sich dem Verbrechen zuzuwenden und sich den Bergbanditen im Süden anschlossen. Die Waren wurden immer billiger, so dass Silber im Vergleich dazu immer wertvoller erschien. Immer weniger Menschen legten Vorräte an Waren und Getreide an, und immer mehr begannen stattdessen Gold und Silber zu lagern. Dies wiederum erhöhte die Effizienz der Raubüberfälle der Bergbanditen erheblich.

Die Räuberkultur blühte hier auf, und die Nester der Räuber übertrafen sogar die der Wildhasen. Sie waren wie Präriegras, unausrottbar durch Wildfeuer und schossen mit jedem Frühlingshauch wieder in die Höhe. Es half nicht, dass das Kriegsministerium die südliche Grenzarmee wie ein unerwünschtes Stiefkind behandelte. Die Mittel der Armee reichten nie aus, und sie hatte keine Möglichkeit, mit den Banditen Schritt zu halten. Doch obwohl die Banditen zahlenmäßig im Vorteil waren, waren ihre Fähigkeiten im Kampf begrenzt. Im Angesicht einer richtigen Armee würden ihre Nester eines nach dem anderen fallen, daher waren sie immer noch vorsichtig gegenüber den Regionalgarnisonen. Sobald eine Person zu Geld gekommen war, strebte sie natürlich nach Frieden und Stabilität. Niemand wollte seine Tage damit verbringen, herumgejagt zu werden und ständig Gefahr zu laufen, dass man ihm den Kopf abschlägt ‒ und Banditen waren auch nur Menschen.

So entwickelte sich im Laufe der Zeit eine merkwürdige Symbiose zwischen der südlichen Grenzarmee und den heißigen Banditen.

Fu Zhicheng, der kommandierende General der südlichen Grenzarmee, hatte ursprünglich als Bandit angefangen. Vordergründig war er bestrebt, die Banditen in Schach zu halten und sicherzustellen, dass sie nur Geld und keine Menschenleben raubten ‒ aber was war das, wenn nicht eine Methode, sie zu schützen? Und da sich die südliche Grenzarmee Jahr für Jahr in argen Finanznöten befand, hatten die Abgaben der örtlichen Banditen nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass sie sich die ganze Zeit über Wasser halten konnte.

Absprachen zwischen Beamten und Banditen waren nichts, worauf man stolz sein konnte, aber Gu Yun verstand die Situation sehr gut. In den letzten Jahren hatte der Kaiser Ackerpuppen eingesetzt und die Tore für neue Handelswege geöffnet. Beides waren gute Maßnahmen, die die Nation bereichern und ihr Volk stärken sollten ‒ aber aus irgendeinem Grund füllte sich die Staatskasse nicht. Stattdessen leerte sie sich, und die Mittel für das Militär wurden wieder einmal gekürzt. Und nun war der Süden von Überschwemmungen heimgesucht worden und hatte noch keine Katastrophenhilfe erhalten. Wenn zu allem Überfluss auch noch Kämpfe zwischen der Armee und den Banditen ausbrachen, würde sich das Leid des einfachen Volkes nur noch verschlimmern, während die Banditen durch alle Städte und Dörfer zogen. Und selbst wenn der Hof wegen Fu Zhichengs Indiskretionen einen neuen Oberbefehlshaber für die Armee an der Südlichen Grenze ernennen wollte, konnte sich Gu Yun keine andere Person als General Fu vorstellen, die die Südliche Grenze unter Kontrolle halten konnte.

Zwischen zwei Übeln gefangen, wählte Gu Yun das kleinere von beiden. Es war kaum eine Wahl. Er musste einen Weg finden, um Fu Zhicheng vorerst zu schützen.

In ein paar Jahren, wenn der Bau der Seidenstraße abgeschlossen war und Groß-Liangs Binnenhandelswege vollständig geöffnet waren, würde Silber aus Übersee einströmen, und die Nation könnte wieder zu Atem kommen. Wenn diese Zeit gekommen war, würde Gu Yun nicht nur Truppen mobilisieren, sondern auch eine ordentliche Straße von der Ba-Shu-Region zur Südlichen Grenze bauen und die Kontrolle der Regierung über diese weit entfernte Region verstärken, in der die Kontrolle des Kaisers schwach war. Nur mit diesem zweigleisigen Vorgehen konnte die Banditenplage ein für alle Mal unter Kontrolle gebracht werden.

Leider schien niemand außer ihm diese Situation zu verstehen, so dass Gu Yun mit seinen Sorgen allein gelassen wurde. Oder vielleicht war es nicht so, dass sie es nicht verstanden, sondern dass ihnen der Marschbefehl und die künftigen Möglichkeiten, dem Kaiser für Macht und Geld in den Arsch zu kriechen, wichtiger waren als die Stabilität der Region.

Gu Yun hatte den ganzen Weg hierher damit verbracht, darüber nachzudenken, wie er Fu Zhicheng schützen könnte. Er hatte ihm sogar eine geheime Botschaft zukommen lassen, nur um dann vom General überrumpelt zu werden, bevor er überhaupt sein Ziel erreicht hatte. Welche Bande von Banditen räumte ihr ganzes Versteck für einen Straßenraub aus und tauchte sogar mit wehenden Fahnen und Trommelschlägen auf? Sie wussten eindeutig, wer er war.

Welcher Unterschied bestand zwischen dem gewaltsamen Abfangen eines kaiserlichen Gesandten und einem Aufstand?

Chang Geng hatte diese Jahre inmitten des Volkes verbracht, als er die Welt bereiste. Er hatte ein gutes Gespür für das aktuelle politische Klima und die alltäglichen Sorgen der Bevölkerung. Nach einigem Nachdenken wurde ihm die allgemeine Lage klar. Er warf einen Blick auf Gu Yuns Gesicht und sagte dann leise: „Yifu, ich glaube, das ist nicht unbedingt die Absicht von General Fu."

„Mal ehrlich", sagte Gu Yun kalt. „Seit wann ist Fu Zhicheng so dumm?"

Diese Banditen, die sich selbst zum König des Berges erklärten, kannten wahrscheinlich höchstens eine Handvoll Schriftzeichen. Wenn sie jemanden wollten, der schreiben und rechnen konnte, mussten sich mehrere Gipfel einen einzigen Buchhalter teilen. Vielleicht hatten diese Banditen Gerüchte gehört, die von irgendwoher durchgesickert waren und beschlossen, auf eigene Faust zu handeln. Sie hatten Gu Yun sowohl als Test als auch als Drohung abgefangen, damit sie später zu Fu Zhicheng gehen und mit ihren Erfolgen prahlen konnten.

Leider waren sie Idioten. Und wenn man mit ihrer Idiotie nicht richtig umging, würde die Verantwortung für diesen Vorfall direkt auf Fu Zhichengs Kopf fallen.

Hoch oben auf dem Berg erhob ein Bandit einen groben Kupferschrei und brüllte Gu Yuns Gruppe unten an, als würde er in einer Oper singen. „Wer ist da? Gebt Euch zu erkennen!"

Neben ihnen schien Shen Yi zwischen Lachen und Tränen hin- und hergerissen, als er einen Pfeil aus seinem Köcher zog. „Marschall?"

„Schieß ihn ab", stieß Gu Yun hervor.

Shen Yis Pfeil sprang in dem Moment von der Sehne, als Gu Yuns Worte seinen Mund verließen, und durchbohrte den Banditen mit dem Kupferschrei wie ein heißes Messer durch Schmalz. Ein aufgeschreckter Vogel krächzte, als er in den Himmel schoss, und sein Schrei hallte durch den Bergpass.

Das Tal explodierte.

Minister Sun hatte keine Gelegenheit, sich darüber zu freuen, dass er ein Druckmittel gegen Fu Zhicheng in der Hand hatte, denn er war zu sehr damit beschäftigt, sich zu Tode zu erschrecken. Er stürzte aus der Kutsche und murmelte: „Das dürfen Sie nicht, das dürfen Sie nicht! Marschall, das dürfen Sie nicht, es gibt mindestens hundert Banditen in diesen Bergen. Wir haben nur eine Handvoll Männer bei uns, und niemand trägt eine Rüstung. Wir sind praktisch wehrlos! Und der vierte Prinz, der vierte Prinz ist ein Adliger, wir können nicht zulassen, dass ihm etwas passiert..."

Gu Yun würdigte den Mann keines Blickes, als er Chang Geng herüberwinkte. „Eure Hoheit, bist du mit deinem Training auf dem Laufenden?"

Chang Geng verbeugte sich: „Ich sollte zumindest qualifiziert sein, als bescheidener Kavallerist unter dem Kommando des Marschalls zu dienen."

„Komm, ich werde dich lehren, wie man in den Bergen Affen jagt." Gu Yun spornte sein Pferd an und ritt den Hang hinauf, und Chang Geng folgte ihm ohne zu zögern. Die erfahrenen Soldaten des Schwarzen Eisenbataillons verstanden die Absicht ihres Befehlshabers in dem Moment, als Gu Yun sich bewegte, und trieben ihre Pferde an, ihm zu folgen.

Minister Sun blieb in ihrem Staub zurück, sein Schrei hallte noch in der Luft hinter ihnen. „Marschall, Ihr dürft nicht..."

Jemand packte ihn hinten am Kragen und hob ihn vom Boden auf. Shen Yi hob den Minister mit dem Griff seines Schwertes hoch und warf ihn auf den Rücken seines eigenen Pferdes. Sun Jiao stieß ein Quieken aus, und seine Augen rollten bei dem Aufprall in seinem Kopf zurück.

„Minister Sun, hören Sie auf zu schreien. Dieser bescheidene General wird Ihnen das Leben retten, keine Angst", sagte Shen Yi verärgert.

Er warf einen Blick auf Minister Sun, der ohnmächtig geworden war und das Weiße seiner Augen zeigte. Dies ist das erste Mal, dass ich einen Vizeminister sehe, der so sehr wie ein Eunuch aussieht.

Auf dem Gipfel des Berges wandte sich ein junger Bandit an seinen Anführer. „Dage, ich habe gehört, wie der Eunuch 'Marschall' rief."

Eingeschlossen in die Schwere Rüstung schob der Banditenhäuptling das eiserne Visier nach oben und schnauzte: „Ach was! Wenn das da unten kein 'Marschall' wäre, würde ich keinen Angriff befehlen! Schießen Sie schon! Umzingelt sie! Umzingelt sie!"

Erneut hallte der Ruf eines Horns durch das Tal, und die Banditen stürmten in einer Welle direkt auf Gu Yuns magere Truppen zu.

Vielleicht hatten sie eine solch dramatische Umzingelung versucht, um sich Mut zu machen. Die eine Seite rannte bereits den Berg hinunter, während die andere noch immer die Trommel schlugen und den Gong erklingen ließen und jaulend vom gegenüberliegenden Gipfel herüberkam, wobei ihre überstürzte Flucht Staubwolken in die Luft schleuderte. Leider waren die meisten ihrer Pferde von vorbeiziehenden Handelskarawanen gestohlen worden. Wie sollten sie da mit den unvergleichlichen Schlachtrössern des Schwarzen Eisenbataillons mithalten können? Die Banditen wurden schnell in die Knie gezwungen.

Gu Yun gab ein Handzeichen, und die Soldaten, die ihm folgten, zerstreuten sich in alle Richtungen. Jetzt, da sich die Ziele der Pfeile der Banditen geteilt hatten, verloren sie schnell jeden Anschein von Ordnung.

Mit Blick auf die Schar wütender Banditen zog Gu Yun leidenschaftslos sein Schwert, dessen Klinge wie Schnee blitzte. Ohne sich umzudrehen, sagte er zu Chang Geng: „Merke dir das: Auf dem Schlachtfeld ist derjenige, der sich ans Leben klammert, der erste, der stirbt..."

Chang Geng wurde von diesem Schwert fast geblendet. Gu Yuns Klinge bewegte sich wie ein aufsteigender Drache, Blutstropfen spritzten in verschiedene Richtungen. Mit ein paar Schlägen fielen die Körper der Banditen und Pferde zu Boden. Er beendete sanft seinen Satz: „...auch wenn deine Feinde nichts wert sind."

Hoch oben auf dem Gipfel blickte der Banditenhäuptling durch ein Fernrohr nach unten. Als er sah, dass ihre Pläne schiefgelaufen waren, brüllte er: „Ich habe euch gesagt, ihr sollt sie umzingeln! Was ist hier los?!"

Dem jungen Banditen neben ihm stand die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. „Dage, ich weiß es nicht!"

Ein tief gebräunter Bandit kam herbeigelaufen, um zu berichten. „Dage, es sieht nicht gut aus!"

Sekunden später stürmte ein leichter Kavallerist durch eine Schlucht. Der Bandit, der das Horn hielt, hatte nicht einmal die Chance, seinen Hals zurückzuschlagen, bevor sein Kopf durch das Aufblitzen einer Klinge von seinem Körper getrennt wurde.

Gu Yun verfügte über hervorragende Reitkünste und konnte durch bergiges Gelände galoppieren, als würde er über eine flache Ebene reiten. Als er einen schmalen Bergpfad überquerte, schwang sein Schwert in einem Bogen aus. Hinter einem großen Felsbrocken ertönte ein markerschütternder Schrei ‒ jemand hatte sich in einem Hinterhalt versteckt. Gu Yun wischte sich das Blut von der Klinge, um Chang Geng die Chance zu geben, aufzuholen. „In den Bergen gibt es viele Hindernisse, hinter denen sich die hiesigen Schurken oft verstecken. Selbst wenn deine Kampffähigkeiten gut sind, kannst du einer Falle vielleicht nicht entgehen."

Als er die Gegend absuchte, sah Chang Geng, dass hinter dem Felsen eine mechanische Armbrust aufgestellt war, bereit, auf einen ahnungslosen Passanten zu schießen. Sein Pferd war kein gottgleiches Schlachtross, und es fiel ihm schwer, mit Gu Yun Schritt zu halten. Dennoch spürte er, wie jeder Tropfen Blut in seinem Körper warm wurde. „Yifu, woher weißt du das?"

Gu Yuns Lippenwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. „Das ist einfach eine Frage der Übung."

Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als sich plötzlich ein Felsbrocken löste und den Berg hinunter auf sie zu rollte. Als hätte er Augen auf dem Kopf, rammte Gu Yun seine Fersen in die Flanken seines Pferdes. Das Schlachtross sprang vorwärts, als der herabfallende Stein praktisch seinen Schweif berührte. Gleichzeitig richtete sich Gu Yun im Sattel auf, griff nach einer nahen Ranke und schwang sich durch die Luft in die Baumkronen. Chang Geng hörte ein schmatzendes Geräusch und bäumte sich instinktiv auf, so dass er gerade noch verhindern konnte, dass sein wilder Pate ihm das Gesicht mit Blut vollspritzte.

Gu Yun hob eine Augenbraue und lächelte ihn von oben herab an. Er pfiff nach seinem Pferd, und das durchtrainierte Tier trabte direkt zu ihm herüber. Chang Gengs Herz pochte in seiner Brust. Dieses Lächeln von Gu Yun hatte ihm fast die Seele aus dem Leib gesaugt.

Gu Yun rief hinunter: „Wenn du in den Bergen Affen jagst, denke daran, dass du zuerst den höchsten Punkt einnehmen musst..."

Inzwischen war das Vorhaben der Banditen, sie einzukesseln, bereits in ein völliges Chaos umgeschlagen. Gu Yuns Männer übernahmen blitzschnell die Kontrolle über die Bergschluchten, und die Banditen verwandelten sich in einen Haufen kopfloser Fliegen, die sich in alle Richtungen zerstreuten, während sie von den Pfeilen, die von oben herabregneten, freudig abgeschlachtet wurden. Als Chang Geng sie einholte, bestieg Gu Yun schon wieder sein Pferd und zog schnell einen besonderen Pfeil aus seinem Köcher.

Sowohl Bogen als auch Pfeil waren dick und stabil. Der Bogen musste Dutzende von Kilogramm wiegen und hatte einen Kasten von der Größe eines Daumens war daran befestigt. Chang Gengs Augenlider zuckten. Der Bogen hat einen Goldtank?

Einen Moment später bestätigte ein Ausbruch von weißem Dampf seine Vermutung. Der Schaft von Gu Yuns Pfeil schien aus Eisen zu sein, und als er von der Sehne flog, stieß er einen durchdringenden Schrei aus, als würden zwanzig Feuerwerkskörper wild zum Himmel rasen. Wie von einem Miniatur-Nebensonnenbogen abgeschossen, sprang der Eisenpfeil mit einer Kraft hervor, die die Sonne durchbohren konnte, und vergrub sich mit einem Klirren von Metall auf Stein, das im ganzen Tal zu hören war, in einem riesigen Bergfelsen oberhalb dieser Schweren Rüstung.

Es gab einen lautes Getöse wie das Hufgetrappel von Wildpferden, als der riesige Felsbrocken bebte und dann den Berghang hinunterstürzte.

Affenscharen stoben auseinander, aber der Banditenhäuptling wurde durch seine Schwere Rüstung behindert und blickte eine Sekunde zu spät auf. Bevor er etwas sehen konnte, wurden er und seine Rüstung zusammen begraben.

„Yifu, den kenne ich." Chang Geng lächelte. „Schneide den Kopf ab, und der Körper wird folgen?"

Geschützt an Gu Yuns Seite, war kein einziges Haar auf seinem Kopf fehl am Platz selbst nachdem er sich durch Hunderte von Banditen gekämpft hatte. Die Säume flogen hinter ihm, und Chang Geng sah aus wie ein eleganter junger Meister.

Gu Yun schnalzte unzufrieden mit der Zunge. Das war's für mich. Wenn ich das nächste Mal in die Hauptstadt zurückkehre, kann ich froh sein, wenn ich nur halb so viele junge Damen habe, die mit Taschentüchern werfen.

 

Eine knappe Stunde später sammelte Gu Yun seine "praktisch wehrlosen" Soldaten des Schwarzen Eisenbataillons ein und stürmte in die Höhle der Banditen.

Die meisten der Banditen hatten sich nach dem Tod ihres Anführers mit der glänzenden Rüstung zerstreut. Sie waren mit dem Terrain bestens vertraut und verschwanden, sobald sie in den Bergwäldern verschwanden. Gu Yun hatte nur eine kleine Truppe bei sich; es wäre unbequem, sie einen nach dem anderen zu verfolgen. Er begnügte sich damit, die wenigen einzufangen, die nicht schnell genug weggelaufen waren, und reihte sie aneinander, während sie sich wie Wachteln zusammenkauerten.

Gu Yun setzte sich auf den Tigerfell-Sitz des Banditenhäuptlings. Als er spürte, dass etwas nicht stimmte, stand er wieder auf, hob das Tigerfell an und lachte. „Euer Bergkönig hat einen ganz besonderen Thron." Unter dem prächtigen Tigerfell, das darüber drapiert war, waren alle vier Beine des Stuhls abgesägt und durch einen Haufen goldener Ziegelsteine ersetzt worden, auf denen ein Holzbrett lag.

„Wenn du dich auf dieses Ding setzt, wirst du dann anfangen, goldene Eier zu legen?", scherzte Gu Yun.

Shen Yi hustete ein paar Mal und signalisierte seinem Marschall, er solle bitte mit dem Unsinn aufhören.

Minister Sun, der sich vor Schreck in die Hose gemacht hatte, war inzwischen mit dem Umziehen fertig und sah wieder wie aus dem Ei gepellt aus. Er sah sich um und erkannte, dass dies seine beste Gelegenheit war, und verwandelte sich augenblicklich von der erbärmlichen Kreatur, die er gewesen war, als er ohne Unterlass ‘Ihr dürft nicht!‘, geschrien hatte, in einen stattlichen Minister der Hauptstadt. Er schritt auf die Gefangenen zu und bellte mit gerechtem Zorn: „Wer hat euch den Mut gegeben, einen Gesandten des Hofes abzufangen? Wer hat euch das befohlen?"

Chang Geng, der an Gu Yuns Spezialbogen herumgefummelt hatte, blickte daraufhin auf und lächelte. „Einen kaiserlichen Gesandten abzufangen, kommt einem Verrat gleich. Die Verbrechen des Häuptlings sprechen für sich selbst, aber gewöhnliche Banditen kämen mit Verbannung und Strafarbeit davon. Aber so heldenhafte wie ihr alle..."

Chang Geng brach mit einem weiteren bedeutungsvollen Lächeln ab. Er schenkte den zitternden Banditen keinen Blick, als ob es sich um eine beiläufige Bemerkung handelte, und wandte seine Aufmerksamkeit einem anderen Thema zu. Er grinste Gu Yun an und fragte: „Yifu, das ist ein so guter Bogen. Darf ich ihn haben?"

Gu Yun winkte gebieterisch mit der Hand. „Nimm ihn."

Sun Jiao hielt inne. Er war diesem vierten Prinzen noch nie begegnet und war sich nicht sicher, was er beabsichtigte. Sein erster Eindruck war der eines Mannes, der sich nicht verstellte, der sanftmütig und geschickt in der Konversation war, aber nicht besonders gewitzt. Jetzt wurde ihm klar, dass er sich vielleicht geirrt hatte. Die Banditen waren nicht dumm; nachdem sie diese Worte von Chang Geng gehört hatten, fingen sie sofort an, sich auf die Brust zu schlagen und zu jammern.

„Dieser Niedrige wusste nicht, dass der kaiserliche Gesandte eingetroffen war, bitte verschont mich!"

„Es ist nicht leicht, sich unterwegs die Bäuche vollzuschlagen. An einem abgelegenen Ort wie diesem sehen wir vielleicht einen halben Monat lang keinen einzigen Reisenden! Woher sollten wir wissen, dass wir einem kaiserlichen Gesandten begegnen würden, sobald wir zur Arbeit aufbrechen? Ich bin unschuldig... Eigentlich bin ich überhaupt nicht unschuldig, aber ich habe alte Eltern und kleine Kinder; ich habe es nicht leicht!"

Sun Jiao war sprachlos.

In diesem Moment marschierte ein Soldat des Schwarzen Eisenbataillons mit schnellen Schritten herein und beugte sich vor, um Gu Yun etwas ins Ohr zu flüstern. „Marschall, wir haben einen Brief von Generalinspektor Kuai aus Nanzhong erhalten. Er hat gehört, dass Ihr von Banditen belästigt werdet, und ist mit zweihundert Mann seiner Leibgarde aufgebrochen, um Euch zu helfen. Sie werden in Kürze eintreffen."

Gu Yun blickte ausdruckslos auf und begegnete zufällig dem Blick von Sun Jiao. Das Blut auf Marschall Gus Körper war noch nicht getrocknet, und sein Anblick verscheuchte die momentane Selbstgefälligkeit in Sun Jiaos Gesicht. Kuai Lantu, der Generalinspekteur von Nanzhong, war eigens eingesetzt worden, um Fu Zhicheng in Schach zu halten. Er befehligte zweihundert persönliche Elitetruppen, die er im Krisenfall nach Bedarf einsetzen konnte. Im Falle eines echten Aufstands könnten zweihundert Leibwächter allein zwar die südliche Grenzarmee nicht aufhalten, aber einzelne von ihnen hätten die Chance, eine Belagerung zu durchbrechen und die Nachricht vom Angriff zu überbringen.

Kuai Lantu und Fu Zhicheng waren Feinde die sich auf einer schmalen Straße trafen und gezwungen wurden die Ellenbogen zu benutzen, beide wollten den anderen in eine Sackgasse zwingen. Es war unwahrscheinlich, dass dieser Neuankömmling mit guten Absichten ankam.

„Generalinspektor Kuai erfuhr es sofort, als ich in das Nest der Banditen einbrach", sagte Gu Yun leichthin. „Er muss die Nachricht noch schneller erhalten als der Erdgott dieser Berge."

Sun Jiao wusste, dass Kuai Lantu den Zeitpunkt falsch eingeschätzt hatte und zu früh erschienen war. Er beeilte sich zu sagen: „Marschall, ich muss Ihnen die Wahrheit sagen: Unsere Reise sollte eigentlich geheim sein, aber wir sind unterwegs auf den vierten Prinzen gestoßen. Wie konnte ich zulassen, dass ein kaiserlicher Erbe sich einer solchen Gefahr aussetzt? Ich habe mir die Freiheit genommen, den Generalinspektor von Nanzhong zu benachrichtigen und um Hilfe zu bitten..."

„Ich verstehe. Minister Sun war sehr rücksichtsvoll", sagte Chang Geng mit einem Lächeln. „Aber woher wussten Sie, dass diese Reise so gefährlich sein würde?"

Da die Verstärkung unterwegs war, wurde Sun Jiaos Rücken gerader. Er faltete die Hände und sagte: „Eure Hoheit, um ehrlich zu sein, hatte ich schon vor diesem tröstenden Auftrag gehört, dass an der Südlichen Grenze Banditen ihr Unwesen treiben. Um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein, habe ich vor meiner Abreise einen Marschbefehl von Seiner Majestät erbeten ‒ nur um dann das Schlimmste zu erleben! Welch ein Glück für uns, dass der Graf unzählige Schlachten geschlagen hat und auch im Angesicht der Gefahr unerschütterlich bleibt."

Bei diesen Worten der Schmeichelei sah Gu Yun ihn mit einem Lächeln an, das seine Augen nicht erreichte, und sagte nichts.

Sun Jiaos Stimme nahm einen scheinheiligen Ton an. „Diese Banditen marodieren unkontrolliert. Wenn sie schon so dreist sind, selbst ernannte Hofbeamte abzufangen, wie müssen sie dann erst die einfachen Leute behandeln? Wenn wir diese Geißel nicht ausrotten, wird der Südwesten keinen Frieden finden. Es scheint, dass ich mit meiner Bitte an den Kaiser richtig lag. Dies ist der erste Marschbefehl in der Geschichte unseres Groß-Liang ‒ und wie es scheint, ist die Ehre General Fu zuteil geworden."

 

 

 

Erklärungen:

…schossen mit jedem Frühlingshauch wieder in die HöheEine Zeile aus dem Gedicht 赋得古原草送别, ‘Ode an einen Abschied in den alten Prärien‘, von Bai Juyi, einem Dichter der Tang-Dynastie.

Das war's für mich. Wenn ich das nächste Mal in die Hauptstadt zurückkehre, kann ich froh sein, wenn ich nur halb so viele junge Damen habe, die mit Taschentüchern werfenDamit will Gu Yun ausdrücken, dass er seinen Patensohn für sehr schön hält, und dass er ihm Konkurrenz machen kann.

…Feinde die sich auf einer schmalen Straße trafen, 冤家 路宰: Eine Redewendung, dafür wenn man unerwartet auf seine Feinde oder Erzfeinde trifft. Entspricht ungefähr dem deutschen ‘die Welt ist klein’, verwendet man aber nur für Menschen, die man hasst oder die einen selber hassen. 

 Mit dem Erdgott dieser Erde ist Tu Di Gong ,土地公, gemeint. Er ist eine populäre lokale Gottheit, die für die Verwaltung der Angelegenheiten eines bestimmten Dorfes zuständig sein soll.




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