Kapitel 41 ~ Eröffnungszüge

Zusätzlich zu seinen zweihundert Leibwächtern verfügte Generalinspektor Kuai von Nanzhong über zehn Schwere Rüstungen und fünfzehn Leichte Felle. Wenn er noch einen Riesendrachen hinzufügte, wären seine Truppen in puncto Rüstung und Ausrüstung nicht schwächer als die Wachen der Stadt Yanhui an der Nördlichen Grenze. Als er den Brief von Sun Jiao erhielt, wusste Kuai Lantu, dass der Tag, auf den er gewartet hatte, endlich gekommen war.

Fu Zhicheng war ein rauer und arroganter Charakter, der sich an das Leben als lokaler Tyrann gewöhnt hatte. Er hatte sich mehrfach geweigert, Kuai Lantu vor anderen Respekt zu erweisen, und es gärte schon lange ein Groll zwischen ihnen.

Nun wollte der Kaiser die militärische Macht der Nation zentralisieren und den Marschbefehl in Kraft setzen, und seine Majestät würde sicherlich ein Opfer für seine Sache brauchen. Der Nordwesten war Gu Yuns Domäne, also konnte er sie nicht anrühren, zumindest nicht im Moment. Die wichtigste militärische Kraft Jiangnans war die Marine, die die wichtige Aufgabe hatte, die Handelsschiffe zu überwachen, die von und nach dem fernen Westen fuhren. Außerdem gab es immer noch die Wokou-Piraten, die im Ostmeer ihr Unwesen trieben, so dass auch dieses Gebiet nicht geeignet war, um tiefgreifende Veränderungen vorzunehmen. Die Armee der Zentralebene stabilisierte die Nation von ihrem Zentrum aus, so dass sie, wenn überhaupt, der letzte Teil sein würde, die man in Angriff nehmen müsste. Das rückständige Hinterland an der Südlichen Grenze war die einzige verbleibende Option für einen Eröffnungszug. Wäre Fu Zhicheng klug, würde er sich an der Südlichen Grenze verschanzen und so tun, als gäbe es ihn nicht, aber stattdessen war er aufgetaucht, um unter dem Vorwand der Trauer Druck auf den Hof auszuüben.

Einer von Kuai Lantus Leibwächtern trat heran und meldete mit leiser Stimme: „General, das Kerosin ist vorbereitet."

Kuai Lantu nahm das Fernrohr von dem Leibwächter entgegen und betrachtete die bezaubernde Szenerie der grünen Berge, die sich vor ihm ausbreiteten. Der Herr des Berges in der Ferne war ein daoistischer Priester, der den Titel Jing Xu trug. Die meisten einfachen Leute folgten dem Kaiser in seinem buddhistischen Glauben, und so hatte nicht nur sein daoistischer Tempel Mühe, offenzubleiben, sondern auch die hiesigen Gauner sahen in ihm ein leichtes Ziel und tauchten immer wieder auf, um ihn auszurauben. In einem Wutanfall hatte Jing Xu einen dieser Banditen zu Tode geprügelt, und da er keinen Ausweg mehr wusste, blieb ihm nur noch das Banditentum. Als jemand, der sowohl gebildet als auch skrupellos war, hatte er sich einen Namen gemacht und wurde später zum Anführer aller Banditen im Umkreis von einigen Hundert Kilometern entlang der Südlichen Grenze.

Kuai Lantu wusste, dass Jing Xu und Fu Zhicheng vom gleichen Schlag waren. Wenn er Fu Zhicheng töten wollte, musste er mit diesem daoistischen Priester beginnen. Kuai Lantu und Sun Jiao hatten ihren Plan schon vor langer Zeit gefasst, als der Kaiser zum ersten Mal ein goldenes Pfeilzeichen benutzte, um Gu Yun in den Süden zu beordern. Dann würden sie den ersten Schritt machen und die Nachricht verbreiten, dass der Hof einen kaiserlichen Gesandten entsendet, um Fu Zhichengs Absprachen mit den Bergbanditen an der Südlichen Grenze zu untersuchen. Um sicherzugehen, dass niemand den kaiserlichen Gesandten angriff, warnte Fu Zhicheng alle großen Banditenhäuptlinge vor der eintreffenden Trostdelegation und befahl ihnen, ihre Untergebenen an die kurze Leine zu nehmen ‒ Kuai Lantu und Sun Jiao verließen sich darauf. Sollten die Banditen nun General Fu über die Natur dieses Gesandten vertrauen? Oder sollten sie den Gerüchten trauen?

Wenn diese Banditenhäuptlinge auch nur den kleinsten Zweifel hegten, was würden sie dann denken, wenn Fu Zhicheng versuchte, vom kaiserlichen Hof gesandte Ermittler als Abgesandte einer "Trostdelegation" auszugeben?

Gerade als der kaiserliche Gesandte die südliche Grenzregion überqueren wollte, erhielt Kuai Lantu einen Brief von Sun Jiao, der ihn vor der Annäherung warnte. Er schickte eine Gruppe seiner Männer, die als Soldaten der südlichen Grenzarmee verkleidet waren, zu Jing Xu, um ihm mitzuteilen, dass das Gefolge des Grafen von Anding und des kaiserlichen Gesandten in einen Hinterhalt geraten war. Die Anweisungen von Kuai Lantu waren klar: Sie sollten dem Banditenhäuptling mitteilen, dass der General Fu nicht persönlich eingreifen konnte, weil er sonst die Verbindungen zwischen General Fu und den Banditen entdecken, und deshalb den daoistischen Priester um Hilfe bitten würde. Jing Xu und Fu Zhicheng waren seit Langem befreundet, und ob er nun misstrauisch war oder nicht, es stand außer Frage, dass er Fu Zhicheng in einem so kritischen Moment decken würde. Da Jing Xu brüderliche Loyalität über alles stellte, eilte er mit seinen Männern sofort nach Bekanntwerden der Nachricht herbei.

Kaum waren sie losgezogen, kamen Kuai Lantu und seine Lakaien vom Berghang, wo sie auf der Lauer lagen, und blockierten mit Schweren Rüstungsinfanterie jeden Weg aus dem Berg. Tausende von in Kerosin getauchten Pfeilen wurden auf die Bogensehnen gespannt, und Jing Xus Versteck brannte in einem großen Feuer nieder. Gleichzeitig schickte Kuai Lantu Truppen mit Leichtem Felle und Schwerer Rüstung in die Berge, um zu patrouillieren und eventuelle Ausbrecher mit einem kurzen Kanonenschlag ins Jenseits zu befördern. Sowohl die Banditen, die zur Bewachung des Berges ausschwärmten, als auch die hilflosen Alten, Frauen und Kinder, die im Inneren des Berges blieben, wurden auf die gleiche Weise behandelt. Keiner wurde verschont, bis auf ein paar Überlebende, die absichtlich am Leben gelassen wurden, damit sie Jing Xu die Nachricht überbringen konnten.

Kuai Lantu blickte auf den fernen Berggipfel, der nur noch ein Trümmerhaufen war, strich sich über den Schnurrbart und lächelte zufrieden.

„Das ist genug. Lasst uns gehen, es ist Zeit, Marschall Gu aufzusuchen." Mit einer Handbewegung formierten sich die Schwere Rüstungsinfanteristen, die Leichten Felle-Kavalleristen und zweihundert Elitesoldaten mit geübter Leichtigkeit und machten sich bereit zum Aufbruch. Kuai Lantu bestieg sein Pferd und warf einen Blick zurück auf den von Flammen zerfetzten Gipfel. „Fu Zhicheng hat immer gesagt, die Bergbanditen seien gerissen, 'unauslöschlich wie ein Lauffeuer und schießen nach jedem Frühlingshauch wieder in die Höhe", bemerkte er abwesend. „Nun, dieser bescheidene Beamte hat das Lauffeuer gelegt, und wir werden sehen, ob sie jetzt wieder in die Höhe schießen." Mit diesen Worten trieb er sein Pferd an.

Jetzt würde jeder Bandit in der Gegend sehen, dass Fu Zhicheng, um sich vor den Ermittlungen des kaiserlichen Gesandten zu retten, einen Angriff auf seine ehemaligen Brüder gestartet hatte, um sie hinzuhalten. Kuai Lantu war fest entschlossen, Fu Zhicheng und die Bergbanditen gegeneinander auszuspielen ‒ war Fu Zhicheng nicht derjenige, der so viel von seiner eigenen Gerissenheit hielt und so sicher war, dass niemand etwas gegen ihn verwenden konnte?

Sun Jiao und Kuai Lantu hatten ihren Plan sorgfältig bis ins kleinste Detail ausgearbeitet. Um zu verhindern, dass Fu Zhicheng etwas so Verzweifeltes tat wie einen bewaffneten Aufstand, wenn er in die Enge getrieben wurde, lud Sun Jiao den Grafen von Anding ein, den tröstenden Auftrag persönlich zu überwachen. Gu Yun war noch keine dreißig Jahre alt, und seine Fähigkeiten reichten vielleicht nicht aus, um Fu Zhicheng, einem Regionalkommandanten, der sich durch Berge von Leichen gekämpft hatte, Parole zu bieten. Aber das spielte keine Rolle, denn Fu Zhicheng verdankte es dem ehemaligen Grafen von Anding, dass er seine Talente erkannte und seine militärische Karriere förderte.

Kuai Lantu war sich sicher, dass Fu Zhicheng es nicht wagen würde, Gu Yuns Kopf auch nur ein Haar zu krümmen.

Obwohl sich die meisten Männer des ehemaligen Grafen von Anding im hohen Alter aus dem Militär zurückgezogen hatten, blieb der Einfluss dieses komplexen Beziehungsnetzes bestehen. Wenn Fu Zhicheng wirklich so undankbar wäre, den einzigen Sohn des alten Grafen anzugreifen, würde die Gegenreaktion der südlichen Grenzarmee mehr als genug sein, um ihm eine Lektion zu erteilen. Außerdem, egal wie rücksichtslos der Mann auch sein mochte, selbst er würde nicht glauben, dass seine unbedeutende südliche Grenzarmee in der Lage war, eine Rebellion anzuzetteln und die Grundfesten von Groß-Liang zu erschüttern ‒ oder?

Wenige Minuten nachdem Kuai Lantu den Berghang verlassen hatte, kam ein handtellergroßer Holzvogel an. Er verdrehte die Augen und schlug mit den Flügeln, um dann inmitten von dichtem Rauch und purpurnen Blutspritzern wieder abzuheben und zu einem kleinen schwarzen Punkt zu schrumpfen, bevor er ganz verschwand.

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Zur gleichen Zeit hatte Fu Zhicheng in der Garnison an der Südlichen Grenze die Nachricht erhalten, dass der Graf von Anding in einen Hinterhalt geraten war. Wie vom Donner gerührt, sprang er auf und packte den Späher am Kragen. „Wo ist der Graf von Anding jetzt?"

„Der Graf von Anding hat sich durch den Aprikosenhain gemetzelt", sagte der Späher eilig, „aber aus irgendeinem Grund bleibt er in ihrem Versteck und weigert sich, es zu verlassen. Er hat sogar ihre Fahne gegen das Banner des Kommandanten des Schwarzen Eisenbataillons ausgetauscht."

Als Fu Zhicheng dies hörte, verzog sich sein Gesicht und er fegte alle Weinbecher und Teetassen auf dem Tisch zu Boden. Er spuckte wütend aus: „Diese Hurensöhne haben in ihrem Leben noch nie etwas Sinnvolles getan; sie können nur Ärger machen!"

Der Späher hatte Angst, auch nur laut zu atmen. Er trat zur Seite, kniete nieder und sah zu, wie der Oberbefehlshaber der südlichen Grenzarmee wie ein eingesperrtes Tier im Raum hin und her lief. Fu Zhicheng war nicht überrascht, dass Gu Yun die Banditen des Aprikosenhains niedergeschlagen hatte. Es wäre eine viel seltsamere Geschichte, wenn er erfolgreich in einen Hinterhalt geraten wäre. Aber es blieb immer noch die Frage: Was hatte der Graf von Anding vor?

Warum blieb er im Aprikosenhain, anstatt seine Reise fortzusetzen? Wenn er nur hierblieb, um die Banditen zu verhören, warum tauschte er dann die Flagge aus? Hat er auf jemanden gewartet? Wartete er darauf, etwas zu tun? Ganz zu schweigen davon, dass Gu Yuns offizieller Grund für seine Reise in den Süden darin bestand, einem trauernden General sein Beileid auszusprechen ‒ warum hatte er also das Banner des Kommandanten des Schwarzen Eisenbataillons mitgebracht? Wenn das Banner des Bataillonskommandeurs hier war, war dann auch der Schwarze Eisen-Tigeramulett hier? Hatte er wirklich nur eine Handvoll Wachen und einen nutzlosen Vizeminister mitgebracht?

Einige Hundert Kilometer von hier entfernt hatte der Generalinspekteur von Nanzhong zweifellos einen vollen Eimer Schlamm vorbereitet, um ihn damit zu beschmieren. Hatte Gu Yun im Voraus Kontakt mit ihm aufgenommen?

So wie es aussah, konnte Fu Zhicheng nicht sagen, auf welcher Seite Gu Yun stand. Sein Augenlid begann zu zucken. Obwohl er tatsächlich unter dem ehemaligen Grafen von Anding gedient hatte, hatte er im Laufe der Jahre nicht viel mit Gu Yun zu tun gehabt. Er wusste genau, dass Gu Yun seine Verwicklung mit den Banditen missbilligte. Fu Zhicheng konnte den wahren Grund für Gu Yuns Besuch nicht einmal erahnen.

„Sattelt die Pferde." Fu Zhicheng brach das Schweigen: „Die Abteilungen Bergtiger, Weißer Wolf und Geisterfuchs kommen mit mir; wir werden den Grafen von Anding und den kaiserlichen Gesandten aufsuchen. Die Abteilung Waldleopard wird sich ausrüsten und auf Befehle warten. Haltet Ausschau nach Rauch ‒ das ist euer Signal zum Ausrücken. Seid bereit, sofort zu marschieren."

Der Späher starrte Fu Zhicheng schockiert an ‒ damit hatte General Fu fast die Hälfte der südlichen Grenzarmee versammelt. Wollten sie den Grafen von Anding sehen oder ihn belagern?

Fu Zhicheng zog mit einer geschmeidigen Bewegung eine lange Hellebarde von der Wand und bellte: „Worauf wartet ihr noch?!"

Eine Dreiviertelstunde später brachen die Truppen der südlichen Grenzarmee zum Aprikosenhain auf. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

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Als die Nacht über der offiziellen Straße durch die Südlichen Grenze hereinbrach, schlugen Handelskarawanen, die es verpasst hatten, in einem Gasthaus zu rasten, provisorische Lager am Straßenrand auf. Diese fahrenden Händler reisten durch das ganze Land und waren es gewohnt, in der Wildnis zu übernachten. Sie ließen eine einzige Nachtwache mit einer brennenden Fackel zurück, um zu beobachten, wie der Rest sich zum Schlafen hinlegte.

Bei der dritten Nachtwache ertönte aus dem Inneren des Waldes der Ruf eines Kuckucks. Der Nachtwächter und mehrere "Kaufleute", die nur so taten, als würden sie schlafen, standen einer nach dem anderen auf. Sie wechselten kein Wort, sondern verständigten sich mit den Augen, während sie aneinander vorbeigingen und sich dann lautlos hinter die Wagen schlichen.

Diese Wagen waren mit Geheimfächern ausgestattet. Nachdem die Männer die darauf gestapelten Waren beiseitegeschoben hatten, hoben sie ein Brett an, um die darunter verborgene Fracht freizulegen: kalte Rüstungen, die keinen Lichtschimmer reflektierten. In kleinen Gruppen von drei bis fünf Personen zogen die nächtlichen Reisenden die stählernen Rüstungen rasch an. Unter ihnen befanden sich Falken, Schwere Rüstungen und sogar einige Kavalleristen mit Leichtem Fell.

Dann drehten sie sich um und verschwanden in der Nacht, um sich in alle Richtungen zu verteilen. Das Rascheln des Waldes, als sie sich entfernten, schreckte ein paar schlafende Vögel auf, aber nach wenigen Minuten kehrte wieder Ruhe ein. Nur die Lichtpunkte der Fackeln der Handelskarawanen blieben zurück und verteilten sich in der Dunkelheit wie eine Handvoll Goldstücke, die über das gebirgige Gelände der Südlichen Grenze verstreut waren.

Im Schutz der Nacht eilten mehrere unsichtbare Truppen, jede mit ihren eigenen Motiven, auf Aprikosenhain zu. Der Banditenhäuptling des Aprikosenhains, der unter dem riesigen Felsbrocken zerquetscht wurde, hätte sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können, dass seine einzige dumme Entscheidung der Funke sein würde, der die Lunte an der Südlichen Grenze entzündete.

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Im Banditenlager von Aprikosenhain wiederholten die von Sun Jiao verhörten Banditen ihre Geschichte: Sie hatten keine Ahnung, dass der kaiserliche Gesandte kommen würde. Der Vizeminister verschwendete einen halben Tag lang seine Zeit, ohne dass etwas dabei herausgekommen wäre. Niedergeschlagen blieb ihm nichts anderes übrig, als zu sitzen und immer wieder zur Tür zu schauen.

Gu Yun nahm ein paar Bissen zu sich, wischte sich dann den Mund ab und legte die Stäbchen ab. Er betrachtete Sun Jiao, der so unruhig wirkte, als säße er auf einem Nagelbett, und lachte. „Vizeminister Sun, Sie haben sieben oder acht Mal zur Tür geschaut, seit wir uns zum Essen hingesetzt haben. Vermissen Sie Generalinspektor Kuai wirklich so sehr?"

Sun Jiao durchlief mehrere Gesichtsausdrücke, bevor er sein Gesicht zu einem einschmeichelnden Lächeln formte. „Marschall, seien Sie nicht albern ‒ ist das Essen nicht nach Ihrem Geschmack? Warum nehmen Sie nicht noch etwas?"

„Ich verzichte." Gu Yun warf ihm einen spitzen Blick zu. „Übermäßiges Essen verlangsamt die Bewegungen, das hier reicht. Ach ja, Jiping, wenn du nichts anderes zu tun hast, dann zähle alles Gold und Silber in diesem Banditenversteck. Wenn wir uns schon die Mühe machen, Banditen auszurauben, können wir nicht mit leeren Händen dastehen. Pack es ein und nimm es mit."

Sun Jiao starrte ihn an.

Gu Yun drehte sich mit einem Lächeln zu ihm um. „Vizeminister Sun, Sie werden mich doch nicht anklagen, wenn Sie zurückkommen, oder? Ja, um ehrlich zu sein, wenn man bedenkt, wie geizig das Kriegsministerium heutzutage ist, waren die Zeiten für das Schwarze Eisenbataillon hart", sagte er seufzend. Die gefesselten Banditen waren schnell bei der Sache, und als sie dies hörten, beeilten sie sich, zu sprechen. „Wir haben Geschäftsbücher! Das haben wir! Sie sind ... Sie sind da oben!"

Shen Yi drehte sich um, um zu sehen, wohin er zeigte, und stellte fest, dass dieser Ort sogar über ein eigenes, halb geheimes Versteck verfügte. In der Ecke stand eine hohe Leiter, die direkt an die Decke führte, wo ein Haufen Heu einen kleinen Dachboden verbarg, der auf den Dachsparren errichtet worden war.

Großartig, dachte Shen Yi. Ich bin wieder einmal der Buchhalter eines Hühnerstalls geworden.

In diesem Moment kam Kuai Lantu im Aprikosenhain an.

Kuai Lantu stolziert mit seinen Leibwächtern im Schlepptau herein. Der Geruch von Blut und Feuer, der ihn umgab, hatte sich noch nicht verflüchtigt und hüllte ihn in eine mörderische Aura. Er trat vor und verkündete mit dröhnender Stimme: „Dieser bescheidene Beamte Kuai Lantu, Generalinspekteur von Nanzhong, grüßt den Grafen von Anding, den Vizeminister Sun, alle Generäle und ..."

Chang Geng lächelte ihn an. „Li Min."

Kuai Lantu stockte.

Sun Jiao beeilte sich, ihn mit leiser Stimme daran zu erinnern. „Zeig etwas Respekt, das ist Prinz Yanbei, seine Hoheit der vierte Prinz!"

Kuai Lantu zuckte überrascht zusammen ‒ Li Min, der jüngste Bruder des Kaisers, hatte sich noch nie vor den Augen der Welt gezeigt. Die meisten Menschen wussten nur, dass er einst unter dem einfachen Volk verloren gegangen war. Nachdem er gefunden worden war, hielt er sich tief im Anwesen des Grafen von Anding versteckt und verließ es nur selten. Er war noch recht jung und hatte keine nennenswerten Erfolge vorzuweisen ...

Was machte der Komturprinz Yanbei hier?

Als ob das plötzliche Erscheinen von Prinz Yanbei ein böses Omen wäre, zuckte Kuai Lantus Auge heftig. Doch bevor er antworten konnte, eilte einer seiner Leibwächter herein und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

„Generalinspektor Kuai", sagte Gu Yun, „wie kostbar muss die Spucke Eurer Untergebenen sein. Dürfen wir nicht einmal zuhören?"

Kuai Lantu stieß den Leibwächter weg. „Unverschämtheit! Vor dem Grafen und Seiner Hoheit zu flüstern; undenkbar!"

Selbst nach einem kräftigen Tritt zeigte das Gesicht des Wächters keine Verärgerung. Ohne zu zögern, fiel er auf die Knie und berichtete: „Meine Herren, Zehntausende von Soldaten marschieren auf den Aprikosenhain zu. Es scheint sich um die südlichen Grenzarmee zu handeln!"

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, erschien ein unbekannter Hauptmann der Vorhut an den Hängen des Berges. Der Leibwächter des Generalinspektors hob Schwerter, Speere und Hellebarden, als wollten sie die Nacht mit dem kalten Glanz ihrer Klingen erhellen. Der Hauptmann der Vorhut zeigte jedoch keine Anzeichen von Furcht. Er rief: „Fu Zhicheng, Gouverneur des Südwestens, führt seine Truppen an, um den Marschall zu begrüßen!"

Gu Yuns Gesicht war teilnahmslos, als er sich dachte: Dieser Fu weiß wirklich, wie er seinen eigenen Untergang herbeiführen kann.

Kuai Lantu warf einen weiteren verstohlenen Blick auf Chang Geng. Der vierte Prinz schenkte ihm ein Lächeln, dann drehte er sich um, stieg in aller Ruhe die Leiter in der Ecke hinauf und verschwand auf dem Dachboden, wo die Geschäftsbücher aufbewahrt wurden.

Kuai Lantu erkannte seine Chance und trat vor. „Marschall, dieser bescheidene Beamte hat etwas zu berichten!"

Gu Yun blickte wieder zu ihm auf.

„Fu Zhicheng hat als Verteidigungsgeneral dieser Region seine Pflichten vernachlässigt und sich mit den hiesigen Banditen verbündet. Er behandelt die Bauern wie Vieh und konspiriert mit fremden Nationen im Süden. Seine verräterischen Absichten sind klar. Marschall, Ihr müsst vorbereitet sein!"

„Ach? Ist das so?" Gu Yun schien nicht im Geringsten überrascht zu sein, solche Anschuldigungen zu hören. Er drehte seine abgenutzten Gebetsperlen ein paar Mal um seine Fingerspitze, als wäre er in Gedanken versunken. Nach einer Weile sagte er: „Gut, dann laden wir ihn nach oben ein. Ich würde gerne sehen, wie genau er den Verrat plant."

Kuai Lantu und Sun Jiao sahen sich an, weil sie glaubten, ihre Ohren hätten eine Fehlfunktion.

Gu Yun wiederholte: „Ich sagte, wir sollten General Fu hierher einladen. Habt ihr beide etwas dagegen?"

Chang Geng war auf den Dachboden geklettert und stellte fest, dass es ein ganz anderer Anblick war als das düstere Versteck unten. Der kleine Raum hatte ein Fenster und sogar ein Dachfenster, durch das er einen hervorragenden Blick auf den Berg unter ihm hatte. Die Banditen des Aprikosenhains hatten ihre Flagge genau über diesem Dachfenster gehisst. Shen Yi hatte eine große Fackel an der Seite aufgestellt, und Chang Geng sah, wie er eine unbekannte Substanz verbrannte, die eine weiße Rauchsäule freisetzte, die direkt in den Himmel stieg, ohne vom Wind verweht zu werden.

Chang Geng lächelte. „Ich dachte, General Shen sei hier, um die Konten zu prüfen, und kam herauf, um mir zu helfen. Stattdessen sind Sie heraufgekommen, um ein Rauchzeichen zu entzünden."

Shen Yi sprang von der Dachluke herunter. „Eure Hoheit, Sie verstehen auch etwas von Buchhaltung?", fragte er mit Interesse. „Was haben Sie in all den Jahren gemacht?"

„Nicht viel. Ich habe eine Zeit lang bei Fräulein Chen Medizin studiert und manchmal Besorgungen für meine Jianghu-Freunde gemacht. Außerdem habe ich mich hier und da einer Handelskarawane angeschlossen. Ich habe von allem etwas gelernt."

Es war eine offensichtliche Nicht-Antwort, aber Shen Yi fragte taktvoll nicht weiter. Erfahrung und Wissen kann man nicht vortäuschen. Ganz gleich, wie sehr sich ein unerfahrener junger Mann bemühte, Gelassenheit vorzutäuschen, wer aufmerksam war, würde die Risse in seiner Fassade erkennen. Die Erfahrungen, die Chang Geng auf seinen Reisen durch die Jianghu gemacht hatte, konnten nicht so einfach gewesen sein, sonst hätte er nie eine so rätselhafte Aura entwickelt. So wie er jetzt war, war es unmöglich, in ihm zu lesen.

Chang Geng stieß das Dachbodenfenster auf und sah hinaus. Eine große Prozession von Truppen schlängelte sich den Berg hinauf, das Banner ihres Befehlshabers peitschte im Wind wie ein Schiffssegel. Ihre Rüstungen schimmerten kalt im Schein der Fackeln, und eine Dampfwolke stieg aus ihren Reihen auf und schlängelte sich kilometerweit den Berg hinunter, wie ein lebendiger, atmender Drache. Fu Zhicheng hatte fast zehn Jahre lang die südliche Grenzarmee befehligt und war so etwas wie ein hiesiger Tyrann an der Südlichen Grenze. Hätte er heute ein paar Hundert Soldaten mitgebracht, um Banditen zu jagen und den kaiserlichen Gesandten zu empfangen, hätte er Spielraum für Erklärungen und Manöver gehabt. Aber der Mann hatte tatsächlich die halbe südliche Grenzarmee für diesen Auftrag herbeigeschleppt.

Chang Geng beobachtete die Prozession eine Weile, dann seufzte er. „Yifu mag anfangs geneigt gewesen sein, General Fu zu schützen, aber jetzt wird es schwierig werden.

„Er hat es nicht nur versäumt, den Gefallen zu würdigen, sondern es sieht so aus, als ob er hierher kommt, um den Fehdehandschuh hinzuwerfen." Shen Yi blickte neugierig auf Chang Gengs gelassenes Profil. „Eure Hoheit hat das Benehmen eines erfahrenen Generals, der der Gefahr standhaft gegenübersteht. Und das in einem so jungen Alter ‒ Ihr seid wirklich ein seltenes Talent."

„Das kommt mit der Erfahrung", sagte Chang Geng gleichmäßig. „Als ich damals mit Yifu in das Versteck der Ostmeer-Rebellen eindrang, hatte ich wirklich kein Vertrauen, dass wir es schaffen würden. Damals waren wir an seiner Seite mehr eine Last als eine Hilfe, und wir wussten nicht, wann die Marine endlich eintreffen würde ‒ und wir wussten auch nicht, ob sie den Brief, den wir auf den Weg geschickt hatten, überhaupt erhalten würde. Trotzdem lachte er, wie er es immer tut, mit Leichtigkeit, und wir schafften es in einem Stück heraus. Damals habe ich etwas gelernt."

„Was denn?"

„Es hat keinen Sinn, Angst zu haben."

Shen Yi dachte einen Moment lang nach und schüttelte dann lächelnd den Kopf. „Natürlich weiß jeder, dass es keinen Grund gibt, Angst zu haben. Aber es ist so, wie wenn man zu einer bestimmten Zeit Hunger hat oder friert, wenn man nicht genug Kleidung trägt. Das ist eine natürliche Reaktion des Körpers. Wie kann man die Reaktionen des eigenen Körpers unterdrücken?"

Ein schwaches Lächeln erschien auf Chang Gengs Gesicht. „Es ist möglich."

Shen Yi blinzelte überrascht. Er hatte plötzlich das vage Gefühl, dass in Chang Gengs ‘Es ist möglich‘ eine ganze Menge verborgen war.

„Ich glaube, dass es nichts auf dieser Welt gibt, das dich besiegen kann, solange du bereit bist ‒ nicht einmal dein eigenes Fleisch und deine eigenen Knochen", sagte Chang Geng mit sanfter Stimme.

Diese Worte klangen gewöhnlich, aber Chang Gengs Gesichtsausdruck und sein Tonfall waren zu entschlossen, so entschlossen, dass sie auf eine Art und Weise betörend waren, die andere unbewusst dazu brachte, sie ebenfalls zu glauben.

„Eure Hoheit, als Sie und der Marschall im Ostmeer gefangen waren, hatten Sie noch einige Dutzend Experten des Linyuan-Pavillons an Ihrer Seite. Es war eine Zusammenarbeit von innen und außen. Aber dieses Mal ist es anders. Wir haben nur den Vizeminister Sun, der unbedingt den Marschbefehlserlass vorantreiben will, und Generalinspektor Kuai, der seine eigenen Hintergedanken hegt. Fu Zhicheng ist dabei, sich mit den Tausenden von Soldaten, die er befehligt, den Berg hinaufzukämpfen. Ist die Lage nicht noch verzweifelter als beim letzten Mal? Eure Hoheit, seid Ihr nicht besorgt?"

Chang Geng schenkte ihm ein selbstbeherrschtes Lächeln. „Ich bin nicht besorgt. Wenn ich das Banner des Schwarzen Eisenbataillons über diesem Dachboden wehen sehe, habe ich das Gefühl, als wären dreitausend göttliche Reiter des Schwarzen Eisenbataillons in diesen südwestlichen Wäldern versteckt. Ich kann nicht anders, als mich beruhigt zu fühlen."

Verblüfft lachte Shen Yi unbeholfen und presste seine Hand an die Stirn. Ihm brach an Gu Yuns Stelle der kalte Schweiß aus ‒ seine kleine Hoheit machte seiner Blutlinie, als Nachfahre des kaiserlichen Drachen alle Ehre. Er war eine ziemliche Herausforderung.

„Außerdem", meldete sich Chang Geng wieder zu Wort. „General Shen weiß es auch, nicht wahr? Dass mein Yifu vielleicht nicht unbedingt Fu Zhicheng retten will."

Shen Yi war sprachlos.

Diesen Teil hatte er tatsächlich nicht gewusst!

 

 

 

Erklärungen:

Die dritte Nachtwache (von insgesamt fünf) dauert von 1:00 bis 3:00 Uhr.




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