Zusätzlich zu seinen zweihundert Leibwächtern verfügte Generalinspektor Kuai von Nanzhong über zehn Schwere Rüstungen und fünfzehn Leichte Felle. Wenn er noch einen Riesendrachen hinzufügte, wären seine Truppen in puncto Rüstung und Ausrüstung nicht schwächer als die Wachen der Stadt Yanhui an der Nördlichen Grenze. Als er den Brief von Sun Jiao erhielt, wusste Kuai Lantu, dass der Tag, auf den er gewartet hatte, endlich gekommen war.
Fu Zhicheng war ein rauer und arroganter Charakter, der
sich an das Leben als lokaler Tyrann gewöhnt hatte. Er hatte sich mehrfach
geweigert, Kuai Lantu vor anderen Respekt zu erweisen, und es gärte schon lange
ein Groll zwischen ihnen.
Nun wollte der Kaiser die militärische Macht der Nation
zentralisieren und den Marschbefehl in Kraft setzen, und seine Majestät würde
sicherlich ein Opfer für seine Sache brauchen. Der Nordwesten war Gu Yuns
Domäne, also konnte er sie nicht anrühren, zumindest nicht im Moment. Die
wichtigste militärische Kraft Jiangnans war die Marine, die die wichtige
Aufgabe hatte, die Handelsschiffe zu überwachen, die von und nach dem fernen
Westen fuhren. Außerdem gab es immer noch die Wokou-Piraten, die im Ostmeer ihr
Unwesen trieben, so dass auch dieses Gebiet nicht geeignet war, um
tiefgreifende Veränderungen vorzunehmen. Die Armee der Zentralebene
stabilisierte die Nation von ihrem Zentrum aus, so dass sie, wenn überhaupt,
der letzte Teil sein würde, die man in Angriff nehmen müsste. Das rückständige
Hinterland an der Südlichen Grenze war die einzige verbleibende Option für
einen Eröffnungszug. Wäre Fu Zhicheng klug, würde er sich an der Südlichen Grenze
verschanzen und so tun, als gäbe es ihn nicht, aber stattdessen war er
aufgetaucht, um unter dem Vorwand der Trauer Druck auf den Hof auszuüben.
Einer von Kuai Lantus Leibwächtern trat heran und meldete
mit leiser Stimme: „General, das Kerosin ist vorbereitet."
Kuai Lantu nahm das Fernrohr von dem Leibwächter entgegen
und betrachtete die bezaubernde Szenerie der grünen Berge, die sich vor ihm
ausbreiteten. Der Herr des Berges in der Ferne war ein daoistischer Priester,
der den Titel Jing Xu trug. Die meisten einfachen Leute folgten dem Kaiser in
seinem buddhistischen Glauben, und so hatte nicht nur sein daoistischer Tempel
Mühe, offenzubleiben, sondern auch die hiesigen Gauner sahen in ihm ein
leichtes Ziel und tauchten immer wieder auf, um ihn auszurauben. In einem
Wutanfall hatte Jing Xu einen dieser Banditen zu Tode geprügelt, und da er
keinen Ausweg mehr wusste, blieb ihm nur noch das Banditentum. Als jemand, der
sowohl gebildet als auch skrupellos war, hatte er sich einen Namen gemacht und
wurde später zum Anführer aller Banditen im Umkreis von einigen Hundert
Kilometern entlang der Südlichen Grenze.
Kuai Lantu wusste, dass Jing Xu und Fu Zhicheng vom
gleichen Schlag waren. Wenn er Fu Zhicheng töten wollte, musste er mit diesem daoistischen
Priester beginnen. Kuai Lantu und Sun Jiao hatten ihren Plan schon vor langer
Zeit gefasst, als der Kaiser zum ersten Mal ein goldenes Pfeilzeichen benutzte,
um Gu Yun in den Süden zu beordern. Dann würden sie den ersten Schritt machen
und die Nachricht verbreiten, dass der Hof einen kaiserlichen Gesandten
entsendet, um Fu Zhichengs Absprachen mit den Bergbanditen an der Südlichen Grenze
zu untersuchen. Um sicherzugehen, dass niemand den kaiserlichen Gesandten
angriff, warnte Fu Zhicheng alle großen Banditenhäuptlinge vor der
eintreffenden Trostdelegation und befahl ihnen, ihre Untergebenen an die kurze
Leine zu nehmen ‒ Kuai Lantu und Sun Jiao verließen sich darauf. Sollten die
Banditen nun General Fu über die Natur dieses Gesandten vertrauen? Oder sollten
sie den Gerüchten trauen?
Wenn diese Banditenhäuptlinge auch nur den kleinsten
Zweifel hegten, was würden sie dann denken, wenn Fu Zhicheng versuchte, vom
kaiserlichen Hof gesandte Ermittler als Abgesandte einer
"Trostdelegation" auszugeben?
Gerade als der kaiserliche Gesandte die südliche
Grenzregion überqueren wollte, erhielt Kuai Lantu einen Brief von Sun Jiao, der
ihn vor der Annäherung warnte. Er schickte eine Gruppe seiner Männer, die als
Soldaten der südlichen Grenzarmee verkleidet waren, zu Jing Xu, um ihm
mitzuteilen, dass das Gefolge des Grafen von Anding und des kaiserlichen
Gesandten in einen Hinterhalt geraten war. Die Anweisungen von Kuai Lantu waren
klar: Sie sollten dem Banditenhäuptling mitteilen, dass der General Fu nicht
persönlich eingreifen konnte, weil er sonst die Verbindungen zwischen General
Fu und den Banditen entdecken, und deshalb den daoistischen Priester um Hilfe bitten
würde. Jing Xu und Fu Zhicheng waren seit Langem befreundet, und ob er nun
misstrauisch war oder nicht, es stand außer Frage, dass er Fu Zhicheng in einem
so kritischen Moment decken würde. Da Jing Xu brüderliche Loyalität über alles
stellte, eilte er mit seinen Männern sofort nach Bekanntwerden der Nachricht
herbei.
Kaum waren sie losgezogen, kamen Kuai Lantu und seine
Lakaien vom Berghang, wo sie auf der Lauer lagen, und blockierten mit Schweren Rüstungsinfanterie
jeden Weg aus dem Berg. Tausende von in Kerosin getauchten Pfeilen wurden auf
die Bogensehnen gespannt, und Jing Xus Versteck brannte in einem großen Feuer
nieder. Gleichzeitig schickte Kuai Lantu Truppen mit Leichtem Felle und Schwerer
Rüstung in die Berge, um zu patrouillieren und eventuelle Ausbrecher mit einem
kurzen Kanonenschlag ins Jenseits zu befördern. Sowohl die Banditen, die zur
Bewachung des Berges ausschwärmten, als auch die hilflosen Alten, Frauen und
Kinder, die im Inneren des Berges blieben, wurden auf die gleiche Weise
behandelt. Keiner wurde verschont, bis auf ein paar Überlebende, die
absichtlich am Leben gelassen wurden, damit sie Jing Xu die Nachricht
überbringen konnten.
Kuai Lantu blickte auf den fernen Berggipfel, der nur noch
ein Trümmerhaufen war, strich sich über den Schnurrbart und lächelte zufrieden.
„Das ist genug. Lasst uns gehen, es ist Zeit, Marschall Gu
aufzusuchen." Mit einer Handbewegung formierten sich die Schwere Rüstungsinfanteristen,
die Leichten Felle-Kavalleristen und zweihundert Elitesoldaten mit geübter
Leichtigkeit und machten sich bereit zum Aufbruch. Kuai Lantu bestieg sein
Pferd und warf einen Blick zurück auf den von Flammen zerfetzten Gipfel. „Fu Zhicheng
hat immer gesagt, die Bergbanditen seien gerissen, 'unauslöschlich wie ein
Lauffeuer und schießen nach jedem Frühlingshauch wieder in die Höhe",
bemerkte er abwesend. „Nun, dieser bescheidene Beamte hat das Lauffeuer gelegt,
und wir werden sehen, ob sie jetzt wieder in die Höhe schießen." Mit
diesen Worten trieb er sein Pferd an.
Jetzt würde jeder Bandit in der Gegend sehen, dass Fu Zhicheng,
um sich vor den Ermittlungen des kaiserlichen Gesandten zu retten, einen
Angriff auf seine ehemaligen Brüder gestartet hatte, um sie hinzuhalten. Kuai Lantu
war fest entschlossen, Fu Zhicheng und die Bergbanditen gegeneinander
auszuspielen ‒ war Fu Zhicheng nicht derjenige, der so viel von seiner eigenen
Gerissenheit hielt und so sicher war, dass niemand etwas gegen ihn verwenden
konnte?
Sun Jiao und Kuai Lantu hatten ihren Plan sorgfältig bis
ins kleinste Detail ausgearbeitet. Um zu verhindern, dass Fu Zhicheng etwas so
Verzweifeltes tat wie einen bewaffneten Aufstand, wenn er in die Enge getrieben
wurde, lud Sun Jiao den Grafen von Anding ein, den tröstenden Auftrag
persönlich zu überwachen. Gu Yun war noch keine dreißig Jahre alt, und seine
Fähigkeiten reichten vielleicht nicht aus, um Fu Zhicheng, einem Regionalkommandanten,
der sich durch Berge von Leichen gekämpft hatte, Parole zu bieten. Aber das
spielte keine Rolle, denn Fu Zhicheng verdankte es dem ehemaligen Grafen von
Anding, dass er seine Talente erkannte und seine militärische Karriere
förderte.
Kuai Lantu war sich sicher, dass Fu Zhicheng es nicht wagen
würde, Gu Yuns Kopf auch nur ein Haar zu krümmen.
Obwohl sich die meisten Männer des ehemaligen Grafen von
Anding im hohen Alter aus dem Militär zurückgezogen hatten, blieb der Einfluss
dieses komplexen Beziehungsnetzes bestehen. Wenn Fu Zhicheng wirklich so
undankbar wäre, den einzigen Sohn des alten Grafen anzugreifen, würde die
Gegenreaktion der südlichen Grenzarmee mehr als genug sein, um ihm eine Lektion
zu erteilen. Außerdem, egal wie rücksichtslos der Mann auch sein mochte, selbst
er würde nicht glauben, dass seine unbedeutende südliche Grenzarmee in der Lage
war, eine Rebellion anzuzetteln und die Grundfesten von Groß-Liang zu
erschüttern ‒ oder?
Wenige Minuten nachdem Kuai Lantu den Berghang verlassen
hatte, kam ein handtellergroßer Holzvogel an. Er verdrehte die Augen und schlug
mit den Flügeln, um dann inmitten von dichtem Rauch und purpurnen Blutspritzern
wieder abzuheben und zu einem kleinen schwarzen Punkt zu schrumpfen, bevor er
ganz verschwand.
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Zur gleichen Zeit hatte Fu Zhicheng in der Garnison an der Südlichen
Grenze die Nachricht erhalten, dass der Graf von Anding in einen Hinterhalt
geraten war. Wie vom Donner gerührt, sprang er auf und packte den Späher am
Kragen. „Wo ist der Graf von Anding jetzt?"
„Der Graf von Anding hat sich durch den Aprikosenhain
gemetzelt", sagte der Späher eilig, „aber aus irgendeinem Grund bleibt er
in ihrem Versteck und weigert sich, es zu verlassen. Er hat sogar ihre Fahne
gegen das Banner des Kommandanten des Schwarzen Eisenbataillons ausgetauscht."
Als Fu Zhicheng dies hörte, verzog sich sein Gesicht und er
fegte alle Weinbecher und Teetassen auf dem Tisch zu Boden. Er spuckte wütend
aus: „Diese Hurensöhne haben in ihrem Leben noch nie etwas Sinnvolles getan;
sie können nur Ärger machen!"
Der Späher hatte Angst, auch nur laut zu atmen. Er trat zur
Seite, kniete nieder und sah zu, wie der Oberbefehlshaber der südlichen
Grenzarmee wie ein eingesperrtes Tier im Raum hin und her lief. Fu Zhicheng war
nicht überrascht, dass Gu Yun die Banditen des Aprikosenhains niedergeschlagen
hatte. Es wäre eine viel seltsamere Geschichte, wenn er erfolgreich in einen
Hinterhalt geraten wäre. Aber es blieb immer noch die Frage: Was hatte der Graf
von Anding vor?
Warum blieb er im Aprikosenhain, anstatt seine Reise
fortzusetzen? Wenn er nur hierblieb, um die Banditen zu verhören, warum
tauschte er dann die Flagge aus? Hat er auf jemanden gewartet? Wartete er
darauf, etwas zu tun? Ganz zu schweigen davon, dass Gu Yuns offizieller Grund
für seine Reise in den Süden darin bestand, einem trauernden General sein
Beileid auszusprechen ‒ warum hatte er also das Banner des Kommandanten des Schwarzen
Eisenbataillons mitgebracht? Wenn das Banner des Bataillonskommandeurs hier
war, war dann auch der Schwarze Eisen-Tigeramulett hier? Hatte er wirklich nur
eine Handvoll Wachen und einen nutzlosen Vizeminister mitgebracht?
Einige Hundert Kilometer von hier entfernt hatte der
Generalinspekteur von Nanzhong zweifellos einen vollen Eimer Schlamm vorbereitet,
um ihn damit zu beschmieren. Hatte Gu Yun im Voraus Kontakt mit ihm
aufgenommen?
So wie es aussah, konnte Fu Zhicheng nicht sagen, auf
welcher Seite Gu Yun stand. Sein Augenlid begann zu zucken. Obwohl er
tatsächlich unter dem ehemaligen Grafen von Anding gedient hatte, hatte er im
Laufe der Jahre nicht viel mit Gu Yun zu tun gehabt. Er wusste genau, dass Gu
Yun seine Verwicklung mit den Banditen missbilligte. Fu Zhicheng konnte den
wahren Grund für Gu Yuns Besuch nicht einmal erahnen.
„Sattelt die Pferde." Fu Zhicheng brach das Schweigen:
„Die Abteilungen Bergtiger, Weißer Wolf und Geisterfuchs kommen mit mir; wir
werden den Grafen von Anding und den kaiserlichen Gesandten aufsuchen. Die
Abteilung Waldleopard wird sich ausrüsten und auf Befehle warten. Haltet
Ausschau nach Rauch ‒ das ist euer Signal zum Ausrücken. Seid bereit, sofort zu
marschieren."
Der Späher starrte Fu Zhicheng schockiert an ‒ damit hatte
General Fu fast die Hälfte der südlichen Grenzarmee versammelt. Wollten sie den
Grafen von Anding sehen oder ihn belagern?
Fu Zhicheng zog mit einer geschmeidigen Bewegung eine lange
Hellebarde von der Wand und bellte: „Worauf wartet ihr noch?!"
Eine Dreiviertelstunde später brachen die Truppen der südlichen
Grenzarmee zum Aprikosenhain auf. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
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Als die Nacht über der offiziellen Straße durch die Südlichen
Grenze hereinbrach, schlugen Handelskarawanen, die es verpasst hatten, in einem
Gasthaus zu rasten, provisorische Lager am Straßenrand auf. Diese fahrenden
Händler reisten durch das ganze Land und waren es gewohnt, in der Wildnis zu
übernachten. Sie ließen eine einzige Nachtwache mit einer brennenden Fackel
zurück, um zu beobachten, wie der Rest sich zum Schlafen hinlegte.
Bei der dritten Nachtwache
ertönte aus dem Inneren des Waldes der Ruf eines Kuckucks. Der Nachtwächter und
mehrere "Kaufleute", die nur so taten, als würden sie schlafen,
standen einer nach dem anderen auf. Sie wechselten kein Wort, sondern
verständigten sich mit den Augen, während sie aneinander vorbeigingen und sich
dann lautlos hinter die Wagen schlichen.
Diese Wagen waren mit Geheimfächern ausgestattet. Nachdem
die Männer die darauf gestapelten Waren beiseitegeschoben hatten, hoben sie ein
Brett an, um die darunter verborgene Fracht freizulegen: kalte Rüstungen, die
keinen Lichtschimmer reflektierten. In kleinen Gruppen von drei bis fünf
Personen zogen die nächtlichen Reisenden die stählernen Rüstungen rasch an.
Unter ihnen befanden sich Falken, Schwere Rüstungen und sogar einige
Kavalleristen mit Leichtem Fell.
Dann drehten sie sich um und verschwanden in der Nacht, um
sich in alle Richtungen zu verteilen. Das Rascheln des Waldes, als sie sich
entfernten, schreckte ein paar schlafende Vögel auf, aber nach wenigen Minuten
kehrte wieder Ruhe ein. Nur die Lichtpunkte der Fackeln der Handelskarawanen
blieben zurück und verteilten sich in der Dunkelheit wie eine Handvoll
Goldstücke, die über das gebirgige Gelände der Südlichen Grenze verstreut
waren.
Im Schutz der Nacht eilten mehrere unsichtbare Truppen,
jede mit ihren eigenen Motiven, auf Aprikosenhain zu. Der Banditenhäuptling des
Aprikosenhains, der unter dem riesigen Felsbrocken zerquetscht wurde, hätte
sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können, dass seine einzige
dumme Entscheidung der Funke sein würde, der die Lunte an der Südlichen Grenze entzündete.
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Im Banditenlager von Aprikosenhain wiederholten die von Sun
Jiao verhörten Banditen ihre Geschichte: Sie hatten keine Ahnung, dass der
kaiserliche Gesandte kommen würde. Der Vizeminister verschwendete einen halben
Tag lang seine Zeit, ohne dass etwas dabei herausgekommen wäre. Niedergeschlagen
blieb ihm nichts anderes übrig, als zu sitzen und immer wieder zur Tür zu
schauen.
Gu Yun nahm ein paar Bissen zu sich, wischte sich dann den
Mund ab und legte die Stäbchen ab. Er betrachtete Sun Jiao, der so unruhig wirkte,
als säße er auf einem Nagelbett, und lachte. „Vizeminister Sun, Sie haben
sieben oder acht Mal zur Tür geschaut, seit wir uns zum Essen hingesetzt haben.
Vermissen Sie Generalinspektor Kuai wirklich so sehr?"
Sun Jiao durchlief mehrere Gesichtsausdrücke, bevor er sein
Gesicht zu einem einschmeichelnden Lächeln formte. „Marschall, seien Sie nicht
albern ‒ ist das Essen nicht nach Ihrem Geschmack? Warum nehmen Sie nicht noch
etwas?"
„Ich verzichte." Gu Yun warf ihm einen spitzen Blick
zu. „Übermäßiges Essen verlangsamt die Bewegungen, das hier reicht. Ach ja,
Jiping, wenn du nichts anderes zu tun hast, dann zähle alles Gold und Silber in
diesem Banditenversteck. Wenn wir uns schon die Mühe machen, Banditen
auszurauben, können wir nicht mit leeren Händen dastehen. Pack es ein und nimm
es mit."
Sun Jiao starrte ihn an.
Gu Yun drehte sich mit einem Lächeln zu ihm um. „Vizeminister
Sun, Sie werden mich doch nicht anklagen, wenn Sie zurückkommen, oder? Ja, um
ehrlich zu sein, wenn man bedenkt, wie geizig das Kriegsministerium heutzutage
ist, waren die Zeiten für das Schwarze Eisenbataillon hart", sagte er
seufzend. Die gefesselten Banditen waren schnell bei der Sache, und als sie
dies hörten, beeilten sie sich, zu sprechen. „Wir haben Geschäftsbücher! Das
haben wir! Sie sind ... Sie sind da oben!"
Shen Yi drehte sich um, um zu sehen, wohin er zeigte, und
stellte fest, dass dieser Ort sogar über ein eigenes, halb geheimes Versteck
verfügte. In der Ecke stand eine hohe Leiter, die direkt an die Decke führte,
wo ein Haufen Heu einen kleinen Dachboden verbarg, der auf den Dachsparren
errichtet worden war.
Großartig, dachte Shen Yi. Ich
bin wieder einmal der Buchhalter eines Hühnerstalls geworden.
In diesem Moment kam Kuai Lantu im Aprikosenhain an.
Kuai Lantu stolziert mit seinen Leibwächtern im Schlepptau
herein. Der Geruch von Blut und Feuer, der ihn umgab, hatte sich noch nicht
verflüchtigt und hüllte ihn in eine mörderische Aura. Er trat vor und
verkündete mit dröhnender Stimme: „Dieser bescheidene Beamte Kuai Lantu,
Generalinspekteur von Nanzhong, grüßt den Grafen von Anding, den Vizeminister
Sun, alle Generäle und ..."
Chang Geng lächelte ihn an. „Li Min."
Kuai Lantu stockte.
Sun Jiao beeilte sich, ihn mit leiser Stimme daran zu
erinnern. „Zeig etwas Respekt, das ist Prinz Yanbei, seine Hoheit der vierte
Prinz!"
Kuai Lantu zuckte überrascht zusammen ‒ Li Min, der jüngste
Bruder des Kaisers, hatte sich noch nie vor den Augen der Welt gezeigt. Die
meisten Menschen wussten nur, dass er einst unter dem einfachen Volk verloren
gegangen war. Nachdem er gefunden worden war, hielt er sich tief im Anwesen des
Grafen von Anding versteckt und verließ es nur selten. Er war noch recht jung
und hatte keine nennenswerten Erfolge vorzuweisen ...
Was machte der Komturprinz Yanbei hier?
Als ob das plötzliche Erscheinen von Prinz Yanbei ein böses
Omen wäre, zuckte Kuai Lantus Auge heftig. Doch bevor er antworten konnte,
eilte einer seiner Leibwächter herein und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
„Generalinspektor Kuai", sagte Gu Yun, „wie kostbar
muss die Spucke Eurer Untergebenen sein. Dürfen wir nicht einmal zuhören?"
Kuai Lantu stieß den Leibwächter weg. „Unverschämtheit! Vor
dem Grafen und Seiner Hoheit zu flüstern; undenkbar!"
Selbst nach einem kräftigen Tritt zeigte das Gesicht des
Wächters keine Verärgerung. Ohne zu zögern, fiel er auf die Knie und
berichtete: „Meine Herren, Zehntausende von Soldaten marschieren auf den
Aprikosenhain zu. Es scheint sich um die südlichen Grenzarmee zu handeln!"
Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, erschien ein
unbekannter Hauptmann der Vorhut an den Hängen des Berges. Der Leibwächter des
Generalinspektors hob Schwerter, Speere und Hellebarden, als wollten sie die
Nacht mit dem kalten Glanz ihrer Klingen erhellen. Der Hauptmann der Vorhut
zeigte jedoch keine Anzeichen von Furcht. Er rief: „Fu Zhicheng, Gouverneur des
Südwestens, führt seine Truppen an, um den Marschall zu begrüßen!"
Gu Yuns Gesicht war teilnahmslos, als er sich dachte: Dieser
Fu weiß wirklich, wie er seinen eigenen Untergang herbeiführen kann.
Kuai Lantu warf einen weiteren verstohlenen Blick auf Chang
Geng. Der vierte Prinz schenkte ihm ein Lächeln, dann drehte er sich um, stieg
in aller Ruhe die Leiter in der Ecke hinauf und verschwand auf dem Dachboden,
wo die Geschäftsbücher aufbewahrt wurden.
Kuai Lantu erkannte seine Chance und trat vor. „Marschall,
dieser bescheidene Beamte hat etwas zu berichten!"
Gu Yun blickte wieder zu ihm auf.
„Fu Zhicheng hat als Verteidigungsgeneral dieser Region
seine Pflichten vernachlässigt und sich mit den hiesigen Banditen verbündet. Er
behandelt die Bauern wie Vieh und konspiriert mit fremden Nationen im Süden.
Seine verräterischen Absichten sind klar. Marschall, Ihr müsst vorbereitet
sein!"
„Ach? Ist das so?" Gu Yun schien nicht im Geringsten
überrascht zu sein, solche Anschuldigungen zu hören. Er drehte seine
abgenutzten Gebetsperlen ein paar Mal um seine Fingerspitze, als wäre er in
Gedanken versunken. Nach einer Weile sagte er: „Gut, dann laden wir ihn nach
oben ein. Ich würde gerne sehen, wie genau er den Verrat plant."
Kuai Lantu und Sun Jiao sahen sich an, weil sie glaubten,
ihre Ohren hätten eine Fehlfunktion.
Gu Yun wiederholte: „Ich sagte, wir sollten General Fu
hierher einladen. Habt ihr beide etwas dagegen?"
Chang Geng war auf den Dachboden geklettert und stellte
fest, dass es ein ganz anderer Anblick war als das düstere Versteck unten. Der
kleine Raum hatte ein Fenster und sogar ein Dachfenster, durch das er einen
hervorragenden Blick auf den Berg unter ihm hatte. Die Banditen des
Aprikosenhains hatten ihre Flagge genau über diesem Dachfenster gehisst. Shen
Yi hatte eine große Fackel an der Seite aufgestellt, und Chang Geng sah, wie er
eine unbekannte Substanz verbrannte, die eine weiße Rauchsäule freisetzte, die
direkt in den Himmel stieg, ohne vom Wind verweht zu werden.
Chang Geng lächelte. „Ich dachte, General Shen sei hier, um
die Konten zu prüfen, und kam herauf, um mir zu helfen. Stattdessen sind Sie
heraufgekommen, um ein Rauchzeichen zu entzünden."
Shen Yi sprang von der Dachluke herunter. „Eure Hoheit, Sie
verstehen auch etwas von Buchhaltung?", fragte er mit Interesse. „Was
haben Sie in all den Jahren gemacht?"
„Nicht viel. Ich habe eine Zeit lang bei Fräulein Chen
Medizin studiert und manchmal Besorgungen für meine Jianghu-Freunde gemacht.
Außerdem habe ich mich hier und da einer Handelskarawane angeschlossen. Ich
habe von allem etwas gelernt."
Es war eine offensichtliche Nicht-Antwort, aber Shen Yi
fragte taktvoll nicht weiter. Erfahrung und Wissen kann man nicht vortäuschen.
Ganz gleich, wie sehr sich ein unerfahrener junger Mann bemühte, Gelassenheit
vorzutäuschen, wer aufmerksam war, würde die Risse in seiner Fassade erkennen.
Die Erfahrungen, die Chang Geng auf seinen Reisen durch die Jianghu gemacht
hatte, konnten nicht so einfach gewesen sein, sonst hätte er nie eine so
rätselhafte Aura entwickelt. So wie er jetzt war, war es unmöglich, in ihm zu
lesen.
Chang Geng stieß das Dachbodenfenster auf und sah hinaus.
Eine große Prozession von Truppen schlängelte sich den Berg hinauf, das Banner
ihres Befehlshabers peitschte im Wind wie ein Schiffssegel. Ihre Rüstungen
schimmerten kalt im Schein der Fackeln, und eine Dampfwolke stieg aus ihren
Reihen auf und schlängelte sich kilometerweit den Berg hinunter, wie ein
lebendiger, atmender Drache. Fu Zhicheng hatte fast zehn Jahre lang die südliche
Grenzarmee befehligt und war so etwas wie ein hiesiger Tyrann an der Südlichen
Grenze. Hätte er heute ein paar Hundert Soldaten mitgebracht, um Banditen zu
jagen und den kaiserlichen Gesandten zu empfangen, hätte er Spielraum für
Erklärungen und Manöver gehabt. Aber der Mann hatte tatsächlich die halbe
südliche Grenzarmee für diesen Auftrag herbeigeschleppt.
Chang Geng beobachtete die Prozession eine Weile, dann
seufzte er. „Yifu mag anfangs geneigt gewesen sein, General Fu zu schützen,
aber jetzt wird es schwierig werden.
„Er hat es nicht nur versäumt, den Gefallen zu würdigen,
sondern es sieht so aus, als ob er hierher kommt, um den Fehdehandschuh
hinzuwerfen." Shen Yi blickte neugierig auf Chang Gengs gelassenes Profil.
„Eure Hoheit hat das Benehmen eines erfahrenen Generals, der der Gefahr
standhaft gegenübersteht. Und das in einem so jungen Alter ‒ Ihr seid wirklich
ein seltenes Talent."
„Das kommt mit der Erfahrung", sagte Chang Geng
gleichmäßig. „Als ich damals mit Yifu in das Versteck der Ostmeer-Rebellen
eindrang, hatte ich wirklich kein Vertrauen, dass wir es schaffen würden.
Damals waren wir an seiner Seite mehr eine Last als eine Hilfe, und wir wussten
nicht, wann die Marine endlich eintreffen würde ‒ und wir wussten auch nicht,
ob sie den Brief, den wir auf den Weg geschickt hatten, überhaupt erhalten
würde. Trotzdem lachte er, wie er es immer tut, mit Leichtigkeit, und wir
schafften es in einem Stück heraus. Damals habe ich etwas gelernt."
„Was denn?"
„Es hat keinen Sinn, Angst zu haben."
Shen Yi dachte einen Moment lang nach und schüttelte dann
lächelnd den Kopf. „Natürlich weiß jeder, dass es keinen Grund gibt, Angst zu
haben. Aber es ist so, wie wenn man zu einer bestimmten Zeit Hunger hat oder
friert, wenn man nicht genug Kleidung trägt. Das ist eine natürliche Reaktion
des Körpers. Wie kann man die Reaktionen des eigenen Körpers unterdrücken?"
Ein schwaches Lächeln erschien auf Chang Gengs Gesicht. „Es
ist möglich."
Shen Yi blinzelte überrascht. Er hatte plötzlich das vage
Gefühl, dass in Chang Gengs ‘Es ist möglich‘ eine ganze Menge verborgen war.
„Ich glaube, dass es nichts auf dieser Welt gibt, das dich
besiegen kann, solange du bereit bist ‒ nicht einmal dein eigenes Fleisch und
deine eigenen Knochen", sagte Chang Geng mit sanfter Stimme.
Diese Worte klangen gewöhnlich, aber Chang Gengs
Gesichtsausdruck und sein Tonfall waren zu entschlossen, so entschlossen, dass
sie auf eine Art und Weise betörend waren, die andere unbewusst dazu brachte,
sie ebenfalls zu glauben.
„Eure Hoheit, als Sie und der Marschall im Ostmeer gefangen
waren, hatten Sie noch einige Dutzend Experten des Linyuan-Pavillons an Ihrer
Seite. Es war eine Zusammenarbeit von innen und außen. Aber dieses Mal ist es
anders. Wir haben nur den Vizeminister Sun, der unbedingt den
Marschbefehlserlass vorantreiben will, und Generalinspektor Kuai, der seine
eigenen Hintergedanken hegt. Fu Zhicheng ist dabei, sich mit den Tausenden von
Soldaten, die er befehligt, den Berg hinaufzukämpfen. Ist die Lage nicht noch verzweifelter
als beim letzten Mal? Eure Hoheit, seid Ihr nicht besorgt?"
Chang Geng schenkte ihm ein selbstbeherrschtes Lächeln. „Ich
bin nicht besorgt. Wenn ich das Banner des Schwarzen Eisenbataillons über
diesem Dachboden wehen sehe, habe ich das Gefühl, als wären dreitausend
göttliche Reiter des Schwarzen Eisenbataillons in diesen südwestlichen Wäldern
versteckt. Ich kann nicht anders, als mich beruhigt zu fühlen."
Verblüfft lachte Shen Yi unbeholfen und presste seine Hand
an die Stirn. Ihm brach an Gu Yuns Stelle der kalte Schweiß aus ‒ seine kleine
Hoheit machte seiner Blutlinie, als Nachfahre des kaiserlichen Drachen alle
Ehre. Er
war eine ziemliche Herausforderung.
„Außerdem", meldete sich Chang Geng wieder zu Wort. „General
Shen weiß es auch, nicht wahr? Dass mein Yifu vielleicht nicht unbedingt Fu Zhicheng
retten will."
Shen Yi war sprachlos.
Diesen Teil hatte er tatsächlich nicht gewusst!
Erklärungen:
Die dritte Nachtwache (von
insgesamt fünf) dauert von 1:00 bis 3:00 Uhr.
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