Gu Yun gönnte Jing Xu nur einen kurzen Blick, bevor er feststellte, dass es nicht viel zu sehen gab. Er schickte diesen großen Banditenhäuptling zusammen mit allen anderen sofort weg ‒ er war zu sehr damit beschäftigt, sich Gedanken darüber zu machen, was er mit Chang Geng machen sollte.
Zum Glück für Gu Yun hatte Chang Geng gerade zur rechten
Zeit seine Pläne erwähnt, sich mit seinen Begleitern zu treffen, die die
geheimen Tunnel der Banditen erkunden wollten. Er hatte insgeheim einen Seufzer
der Erleichterung ausgestoßen. Gu Yun hatte eine strenge Miene aufgesetzt, als
er einen Trupp von Soldaten des Schwarzen Eisenbataillons zu seiner Bewachung
abstellte und ihn ermahnte, sich vor herumstreunenden Banditen in acht zu
nehmen. Erst nachdem er sich persönlich von ihm verabschiedet hatte, gab Gu Yun
dem Schwarzen Ross neben ihm einen Befehl. „Holt ein paar Männer, um die Dinge
im Auge zu behalten. Wenn Seine Hoheit zu früh zurückkommt, findet etwas, womit
er sich beschäftigen kann, lasst ihn nicht hierher kommen.“
Das Schwarze Ross ging, um seine Befehle auszuführen und Gu
Yun wandte sich wieder der Sache zu.
Er ließ seinen Blick über die gefangenen Banditen
schweifen, eine untypische Finsternis legte sich in seine Augen. „Ich habe nur
eine Frage. Wo befinden sich die Eingänge zu eurem Rattennest? Ich möchte, dass
ihr alle genau nachdenkt, bevor ihr antwortet. Wie wäre es damit: Wir beginnen
mit der Person, die am weitesten westlich liegt, jeder von euch kann mir sagen,
welche er kennt. Jeder, der schweigt, wird auf der Stelle geköpft. Diejenigen,
die später kommen, können ergänzen, was vorher gesagt wurde ‒ wenn ihr nichts
hinzuzufügen habt, dann tut es mir leid, die ganz vorne in der Schlange kommen
glimpflich davon. Also, lasst uns beginnen! Ich zähle bis drei. Wer nicht
redet, verliert den Kopf; wer Unsinn plappert, verliert auch den Kopf.“
Die Gefangenen waren zutiefst schockiert von diesem Grafen
des Friedens, der sich noch räuberischer verhielt als die Räuber selbst.
Das Schwarze Ross, das mit dem Verhör beauftragt worden
war, trat ausdruckslos auf den westlichsten Banditen zu. Der Mann schaute
instinktiv nach links und rechts und zögerte, etwas zu sagen. Ohne das
geringste Zögern machte Gu Yun eine schneidende Bewegung mit seiner Hand, und
der Windsäbel des Schwarzen Rosses schwang auf sein Kommando hinunter.
~~~~~Ü 18 Kapitel blutige Köpfungsszene Anfang~~~~~
Die übliche Aufgabe des Schwarzen Rosses war das Töten auf dem Schlachtfeld. Da er nie Affen zum Schlachten gehalten hatte, hatte er sich auch nie wirklich mit Enthauptungstechniken beschäftigt. Der Windsäbel durchtrennte den Hals des Banditen, blieb aber unglücklicherweise in der Wirbelsäule des Mannes stecken. Der Kopf des Banditen war nur halb abgetrennt, seine Kehle musste noch aufgeschlitzt werden. Seine markerschütternden Schreie ließen jeden Vogel in den umliegenden Bergen erschrecken.
Das Schwarze Ross kniff die Augen zusammen. Mit einem
zweiten kräftigen Ruck seines Handgelenks erledigte er die unglückliche Seele
endgültig. Das Blut strömte aus dem Hals des Banditen wie eine
Grundwasserquelle und spritzte auf den nächsten Mann in der Reihe. Der zweite
Bandit schüttelte sich wie ein überladener Goldtank, sein Verstand war leer. Er
hob einen zitternden Finger und deutete auf den Ausgang hinter ihm. „D-da ist
einer, genau dort...“
~~~~~Ü 18 Kapitel blutige Köpfungsszene Ende~~~~~
Gu Yun grinste. „Was du nicht sagst. Denkt Ihr, ich bin
blind?“ Ein zweiter Kopf schlug auf dem Boden auf.
Der dritte Bandit hatte sich vor Schreck in die Hose
gemacht, als er den halb abgetrennten Kopf sah. Er brach mit einem dumpfen
Aufprall zusammen und hielt sich mit beiden Händen den Kopf, für den Fall, dass
der Schwarze Eisenschlächter die Geduld verlor und zustach, ohne ihm eine
Chance zum Sprechen zu geben. Er ratterte in einem Atemzug ein Dutzend Orte
herunter, während die Gefangenen, die hinter ihm aufgereiht waren, ihm mit
ihren Blicken fast das Rückgrat brachen.
Nun, da jemand den Ball ins Rollen gebracht hatte, war der
Rest fast zu einfach. Eine Entscheidung bedeutete Leben oder Tod, und es hatte
keinen Sinn, Geheimnisse zu haben ‒ jede Information, die man bis zu seinem Tod
hütete, würde jemand später in der Reihe ausplaudern. Zu reden, solange man
noch die Chance hatte, sich ans Leben zu klammern, war der vernünftigste Weg.
Gu Yuns Gesichtsausdruck blieb stoisch, aber innerlich war
er verblüfft über das Ausmaß des Netzwerks der südlichen Grenzbanditen. Einige
der Ein- und Ausgänge, die die Banditen aufgedeckt hatten, waren vom Linyuan-Pavillon
entdeckt worden ‒ andernfalls hätte selbst das Schwarze Eisenbataillon diese
Murmeltiere nicht so geschickt in einen Hinterhalt locken können. Aber die
meisten von ihnen waren selbst den Experten aus dem Jianghu unbekannt.
Die Schwarzen Eisensoldaten hinter ihm schlichen sich einer
nach dem anderen davon, um den Wahrheitsgehalt der Informationen der Banditen
zu überprüfen, und ließen an jedem versteckten Eingang Wachen zurück. In
weniger Zeit, als es dauerte, ein Räucherstäbchen anzuzünden, hatten die
Banditen das gesamte riesige unterirdische Tunnelnetz durchquert, als ob sie
das Spiel „Gib die Blume weiter“ spielten. Kein
einziger Kieselstein des Berges blieb unangetastet.
Im Handumdrehen hatte diese tödliche heiße Kartoffel den
Anstifter selbst erreicht, den Banditenhäuptling Jing Xu.
Im Laufe seines Lebens hatte Jing Xu eine blutige Schneise
durch seine Feinde geschlagen und sich auf einem Haufen von Leichen stehend zum
König seines Berges erklärt. Er verfügte über keine außergewöhnlichen Talente,
aber er hatte Mut und Rücksichtslosigkeit im Überfluss. Die Spitze des
Windsäbels des Soldaten schwang gegen sein Gesicht, während das Blut in Strömen
über den Boden floss. Er holte tief Luft, richtete seinen Rücken auf und
sammelte die ganze Wut, die seit Jahren in ihm brodelte, um sie zu einem
Skelett zu formen, das seinen Körper stützte. Er hob seine grimmigen, triangulären
Augen und starrte Gu Yun an, der mit den Händen auf dem Rücken zu ihm
geschlendert war.
„Ich habe gehört, dass Marschall Gu an Eleganz
unübertroffen ist. Ich hätte nie gedacht, dass Ihr auch in Sachen Folter und
Verhöre so geschickt seid. Wie ich sehe, mangelt es Euch nicht an Talenten.“
„Es gibt keinen Grund für Schmeicheleien.“ Ein leeres
Lächeln breitete sich auf Gu Yuns Gesicht aus. „Im Grunde genommen ist das
Geschäft des Krieges nichts anderes als das Abschlachten von Menschen. Ich habe
Euch weder in einen dunklen Raum gesperrt, noch habe ich Euch auf ein Nagelbett
gelegt, noch habe ich Euch eine Folterbank als Euren Platz angeboten. Ich kann
kaum behaupten, dass ich ein Talent für ‘Folter und Verhöre‘ habe. Wenn Sie
nichts hinzuzufügen haben, können Sie sich gerne zu Ihren Kameraden setzen.“
Jing Xus Augenlid begann zu zucken. „Es gibt insgesamt
vierundsechzig Eingänge zu unseren Tunneln. Sie haben sie bereits alle
aufgezählt, die letzten nutzlosen Narren vor mir fingen offensichtlich an,
Kauderwelsch zu reden. Verzeihen Sie meine Unwissenheit, Marschall Gu, aber ich
verstehe nicht, was Sie vorhaben.“
„Ich habe keine Absichten. Ich bitte nur um eine kleine
Versicherung.“ Gu Yun lächelte. „Was ist, wenn sie etwas übersehen haben? Wollt
Ihr mich davon überzeugen, sparsamer mit dem Abschlagen von Köpfen zu sein? Ihr
habt genug Leute, keine Sorge, die werden mir nicht ausgehen.“
Jing Xu starrte ihn an.
Nach einem Moment des Nachdenkens fuhr Gu Yun fort. „Aber
da Ihr Euch als ihren Anführer betrachtet, habt Ihr uns vielleicht mehr zu
sagen. Warum erzählt Ihr mir nicht etwas, das ich noch nicht gehört habe? Ich
werde es als Zustimmung werten.“
Jing Xu presste den Kiefer zusammen. Er dachte an diesen
Bastard Fu Zhicheng, der das alles ausgelöst hatte, und wünschte sich, er
könnte den Mann bei lebendigem Leib häuten. „Herr Marschall, wollen Sie hören,
wie Fu Zhicheng Violettes Gold geschmuggelt und eine Rebellion geplant hat?“
Das eisige Lächeln wich aus Gu Yuns Gesicht. „Wenn ich das
nicht wüsste, wie hätte ich dann ahnen können, dass Ihr den Mut habt, im südwestlichen
Nachschublager aufzutauchen wie die Lämmer auf der Schlachtbank? Ich gebe Euch
noch eine Chance: Sagt mir etwas, das ich nicht weiß.“
Der Schwarze Eisenwindsäbel befand sich direkt neben Jing Xus
Ohr. Er konnte die erbarmungslose Kälte des Metalls beim geringsten Zucken
seines Kopfes spüren. Mit einem leichten Dampfstoß würde dieser Windsäbel ihm
den Kopf abschlagen, so mühelos, wie ein Kochmesser eine Melone durchschneidet.
Gu Yun war kalt und emotionslos, völlig ungerührt. Jing Xus Kopf würde mit der
unscheinbaren Masse zu Boden rollen, umhüllt von einer Staubschicht und
ununterscheidbar vom Rest.
Jing Xu gab schließlich nach. „Was wollt Ihr wissen?“
Gu Yun winkte mit der Hand, und der Windsäbel wich ein paar
Zentimeter zurück. „Wer ist Euer Kontaktmann für den Erwerb von ausländischem Violettem
Gold, nachdem es die Südliche Grenze Groß-Liangs überschritten hat, wer hat Euch
gesagt, Ihr sollt Violettes Gold, Rüstungen und Waffen horten, und wer hat Euch
in Sachen Taktik beraten und Euch gesagt, Ihr sollt mich mit diesen
Bambusdrachen hinters Licht führen, damit Ihr das südwestliche Nachschubdepot
in Besitz nehmen könnt?“
Jing Xu biss die Zähne zusammen.
„Wenn ich in Ihrer Haut stecken würde, würde ich nicht mein
Leben geben, um diese Person zu schützen.“ Gu Yun trat einen Schritt vor und
senkte seine Stimme. „Sehen Sie sich nur das Netz geheimer Tunnel mit seinen
vierundsechzig Eingängen an, Daozhang. Wenn Ihr
nichts Besseres zu tun hättet, als Euch darin zu verkriechen, könnten Euch
nicht einmal eure daoistischen Gottheiten aus der höchsten Himmelsordnung ausgraben...
Wer hat Euch also dazu ermutigt, die Streitkräfte aller drei Gipfel zu
versammeln, nur damit wir Euch alle in einem einzigen Zug wegfegen können, hm?“
Gu Yun war ein Experte darin, Schwarz als Weiß auszugeben.
Im Laufe seines Lebens hatte er drei besondere Fähigkeiten entwickelt:
Kriegsführung, Kalligraphie und Tatsachenverdrehung. Seine Zunge konnte ein
Luftschloss in etwas viel zu Reales verwandeln. Beim näherem Nachdenken ergaben
seine Worte viel zu viel Sinn. Jing Xu brach der kalte Schweiß aus.
__________________________________
Gu Yun brauchte länger, um diesen Banditenhäuptling zu
verhören, als Chang Geng brauchte, um seine Gefährten zu finden. Er kehrte mit
ihnen im Schlepptau sofort zurück, wurde aber von einem pflichtbewussten
Soldaten des Schwarzen Eisenbataillons aufgehalten, bevor er den letzten Gipfel
erreichte. Der junge Soldat war kein guter Lügner, also wiederholte er einfach,
was Gu Yun gesagt hatte. „Eure Hoheit, der Marschall möchte, dass Ihr Euch hier
eine Weile ausruht.“
Chang Geng war nicht überrascht. Gehorsam kauerte er sich
hin und wartete, ohne sich weiter zu erkundigen.
Chang Geng hatte Gu Yun in den letzten vier Jahren nicht
mehr persönlich gesehen. Aber unter der Anleitung des alten Generals Zhong
hatte er jede Schlacht studiert, die Gu Yun je geschlagen hatte, jede Änderung
seiner politischen Haltung, seit er während der Herrschaft des verstorbenen
Kaisers den Titel eines Grafen erhalten hatte und sogar die Entwicklung seiner Kalligraphie.
Wenn Chang Geng heute in Gu Yuns Arbeitszimmer gehen und ein altes Dokument
herausziehen würde, könnte er erraten, wie alt Gu Yun ungefähr war, als er es
verfasste.
Das war eine weitaus effektivere Methode, um Gu Yun zu
verstehen, als jeden Tag mit ihm herumzuhängen, nur um zu hören, wie er damit
prahlt, die „Blume des Nordwestens“ zu sein.
In dem Moment, in dem Gu Yun ihm den ersten zögerlichen
Blick zugeworfen hatte, wusste Chang Geng, dass er ein Geständnis erzwingen
wollte und nicht wollte, dass Chang Geng es sah. Nach all dieser Zeit versuchte
Gu Yun immer noch instinktiv, sein prekäres Image als mitfühlender Vater vor
Chang Geng zu wahren. Chang Geng selbst hatte keine Einwände; er schätzte diese
unausgesprochene Fürsorge seines jungen Patenonkels.
Zwei Gestalten folgten dicht hinter Chang Geng. Es waren
die beiden Rotznasen, die vor so vielen Jahren mit ihm aus der Stadt Yanhui in
die Hauptstadt gezogen waren, Ge Pangxiao und Cao Niangzi ‒ obwohl sie jetzt Ge
Chen und Cao Chunhua hießen.
In seiner Jugend war Ge Chen ein liebenswerter, pummeliger
kleiner Junge gewesen. Jetzt, wo er erwachsen war, war er nicht mehr pummelig,
sondern groß und kräftig, so dass man ihn allein schon wegen seiner Statur
einen stämmigen Riesen nennen konnte. Leider sah der Kopf, der auf seinen
breiten Schultern saß, aus, als sei er aus dem falschen Holz geschnitzt worden.
Er hatte ein hübsches, rundes Gesichtchen: zwei zitternde Hügel aus zartem
Fleisch, die sich wie weicher Tofu auf seinen Wangen auftürmten und seine
kleine Nase, den Mund und die Augen umrahmten. Das ganze Bild verlieh ihm einen
Hauch von harmloser Ehrlichkeit.
Cao Chunhua hatte eine noch drastischere Veränderung
erfahren. Ob er es wollte oder nicht, sein Körper war zu einem erwachsenen Mann
herangewachsen, es fiel ihm nicht mehr so leicht, die nahtlose Androgynität
seiner Jugend zu zeigen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich widerwillig
einzugestehen, dass er ein wirklich hässlicher Mann war, und begann wieder
Männerkleidung zu tragen. Er bestand jedoch darauf, sich den Namen „Cao Chunhua“
zu geben. Niemand außer ihm konnte sich erklären, warum „Frühlingsblume“ ein
besserer Name war als „Dame“.
„Warum müssen wir hier warten?“, fragte Cao Chunhua und
verrenkte sich den Hals. „Es ist Jahre her, dass ich meinen geliebten Grafen
gesehen habe. Ich habe mich so sehr darauf gefreut, dass ich seit Tagen nicht
mehr geschlafen habe.“
Chang Geng warf Cao Chunhua einen rätselhaften Blick zu und
vermerkte einen Schlag gegen ihn auf seiner mentalen Liste. Sobald er fünfzig
solcher Vorfälle von vernarrtem Unsinn nach dem Motto ‘Mein geliebter Graf‘ von
dieser Person notiert hatte, würde er einen plausiblen Grund finden, ihm eine
ordentliche Tracht Prügel zu verpassen.
In seliger Unwissenheit stellte Cao Chunhua eine weitere
Frage. „Dage, wenn du in die Hauptstadt zurückkehrst, wirst du deinen
Adelstitel erhalten, nicht wahr? Ich habe gehört, dass der verstorbene Kaiser
vor langer Zeit das Anwesen des Prinzen Yanbei für dich vorbereiten ließ. Hast
du vor, dorthin zu ziehen oder im Anwesen des Grafen zu bleiben?“
Chang Geng wich überrascht zurück. Er lächelte angestrengt
und sagte: „Das hängt davon ab, ob der Graf bereit ist, mich zu behalten oder
nicht.“
Wenn er jetzt zurückdachte, konnte sich Chang Geng nicht
mehr daran erinnern, wie er den Mut aufgebracht hatte, alles fallen zu lassen
und das Grafenanwesen und Gu Yun zu verlassen. Vor ihrer Wiedervereinigung war
es einfacher gewesen, aber ihre unerwartete Begegnung in Sichuan fühlte sich an
wie ein Frontalzusammenstoß mit dem Schicksal. Es würde ihm schwerfallen, ein
zweites Mal denselben Entschluss zu fassen, selbst wenn er den Tod riskieren
würde.
Chen Qingxu sagte ihm immer: ‘Nimm dich zusammen, zügle
deine Wahnvorstellungen‘. Dieser Rat war ziemlich effektiv, um zu verhindern,
dass das Wu'ergu aufflammte ... aber die Emotionen eines Menschen sind alle
miteinander verbunden. Wenn man Wut und Groll unterdrückt, wird auch die Freude
zu einem Schatten ihrer selbst verblassen. Mit der Zeit wurde ein Mensch, der
seine stärksten Gefühle unterdrückte, blass wie eine Pflanze, die nicht in der
Sonne wächst ‒ er konnte zwar überleben und sich durchschlagen, aber auf Kosten
fast all seiner Farbe und Lebendigkeit.
Chang Geng hatte geglaubt, er stünde kurz davor, die
Buddhaschaft zu erlangen. Bis er sich mit Gu Yun wiedervereinigte.
Chang Geng war durch die
gemeinsame Reise mit Gu Yun vollkommen erschöpft, denn wenn sie es nicht gerade
mit Rebellen zu tun hatten, kämpften sie den ganzen Tag gegen Banditen. Dennoch
war er von einem grundlosen und irrationalen Glücksgefühl erfüllt ‒ einer
überschäumenden, erwartungsvollen und glühenden Art von Glück, als ob er jeden
Morgen die Augen öffnete und wusste, dass etwas, auf das er sich gefreut hatte,
bald geschehen würde. Er fühlte sich so, obwohl er wusste, dass es so etwas
nicht gab; das Wu'ergu besuchte ihn trotzdem jede Nacht in seinen Träumen.
Wenn er seinen Prinzentitel erhielt ... Würde Gu Yun ihm
erlauben, dass er blieb?
Rational gesehen würde Gu Yun ihm natürlich erlauben, zu
bleiben. Der Graf von Anding wäre bereit, ihn zumindest so lange bei sich zu
lassen, bis er sich offiziell niedergelassen und geheiratet hätte. Und wenn er
nie heiratete, konnte er vielleicht ein bisschen schamlos sein und auf
unbestimmte Zeit schmarotzen. Das war eine viel zu schöne Fantasie ‒ es kostete
Chang Geng all seine Kraft, ein dämliches Lächeln zu verhindern, das sich auf
seinem Gesicht breitmachte.
Nach etwa dreißig Minuten des Wartens tauchte Gu Yun
höchstpersönlich auf.
Die geheimen Tunnel waren wie ein riesiges Spinnennetz, das
sich in alle Richtungen ausbreitete und durch ein kompliziertes Geflecht von
Verbindungen verbunden war. Gu Yun hatte insgesamt über vierzig Köpfe
abgehackt. Abgesehen von dem Gefasel derjenigen, die zu Tränen gerührt waren,
hatte er vierundsechzig Eingänge freigelegt.
Ge Chen war schockiert, als er dies hörte. „Was? Wir zwei
Brüder haben uns ein halbes Jahr lang in den Bergen abgerackert und nur etwa
dreißig Eingänge gefunden. Wie hast du auf einen Schlag über sechzig gefunden?!“
„Ohne die Informationen, die du mir gegeben hast, hätte ich
sie nicht überfallen, geschweige denn verhören können.“ Gu Yun warf Ge Chen
einen Blick zu. Mehrere Sekunden lang widerstand er dem Drang, doch schließlich
erlag er der Versuchung und winkte ihn zu sich. „Komm her.“
In der Annahme, der Marschall habe wichtige Anweisungen zu
erteilen, hüpfte Ge Chen direkt zu Gu Yun hinüber. Der eben noch so ernste
Marschall Gu streckte seine Hand aus und kniff Ge Chen in die Pausbacke. Dieser
Mann litt unter einem chronischen und unheilbaren Juckreiz an den Händen ‒ wann
immer er etwas mit einer ansprechenden Textur sah, konnte er nicht anders, als
eine Handvoll davon zu nehmen. Das hatte er schon lange tun wollen.
Die sind das Beste. Gu
Yun quetschte eine Weile Ge Chens Gesicht, dann dachte er, dessen Verlangen
noch immer nicht gestillt war: Wie hat er die kultiviert?
Ge Chen wusste nicht, was er sagen sollte.
Cao Chunhua starrte ihn so neidisch an, dass sein Blick
praktisch Stein durchbohren konnte. Emotionen strömten aus seinen begehrlichen,
tigerähnlichen Augen, und er jammerte leise: „Der Graf von Anding bevorzugt
mich. Warum kneift er mir nicht in die Wangen?“
Er hatte zu viel Angst, dies Gu Yun ins Gesicht zu sagen,
und so war Chang Geng der Einzige, der ihn hörte. Schlag Nummer
achtundvierzig.
Cao Chunhua erschauderte. Er blickte sich um und spürte
plötzlich eine unheilvolle Vorahnung von Gefahr.
___________________________
Gu Yun zeichnete eine Karte der geheimen Tunnel durch die
Berge nach Jing Xus Aussage und befahl seinen Männern, Rauch in jeden Eingang
zu blasen. Drei Tage lang räucherten sie die Tunnel aus und verwandelten den
Berg in einen Schornstein, bis alle Fledermäuse, Ratten und giftigen Insekten
ihre Sachen gepackt hatten und geflohen waren ‒ aber der Mann, den Gu Yun
gefangen nehmen wollte, tauchte immer noch nicht auf.
Einige Soldaten meldeten sich mutig und stiegen mit Seilen
in die Tunnel ein, um ihnen den Rückweg zu erleichtern. Sie durchsuchten die
vierundsechzig Eingänge von der Morgen- bis zur Abenddämmerung, aber sie fanden
weder Haut noch Haar des Mannes. Ihre einzige Belohnung für ihre Heldentaten
war der von Jing Xu erwähnte Sandtisch.
Am vierten Tag berichtete einer von Gu Yuns Untergebenen,
dass sie bei ihren Nachforschungen über Kuai Lantus Mitarbeiter tatsächlich auf
eine verdächtige Person gestoßen waren. Es handelte sich um einen Würdenträger,
der im Auftrag von Kuai Lantu unterwegs war und den Namen Wang Bufan oder „Wang
der Außergewöhnliche“ trug ‒ eindeutig ein Deckname. Diese Person zeigte sich
nur selten in der Öffentlichkeit, aber alle engen Vertrauten von Kuai Lantu
wussten, dass Kuai Lantu ihn bewunderte und ihm großes Vertrauen
entgegenbrachte. Er stellte dem Mann sogar einen Hof in seinem eigenen Anwesen
zur Verfügung und schickte ihm einige seiner wertvollsten Diener und
hübschesten Mägde zu Diensten.
„Und wo ist dieser 'Außergewöhnliche' jetzt?“, fragte Gu
Yun.
„Er ist geflohen. Alle Diener in seinem Hof wurden tot
aufgefunden ‒ vergiftet. Als die anderen Mitglieder des Hofes sie entdeckten,
waren die Leichen bereits kalt geworden.“
„Marschall.“ Ein weiterer Kavallerist kam mit einem
Bericht. „Wir haben die Verstecke durchsucht, in denen Jing Xu gestanden hat,
das Violette Gold zu transportieren. Sie wurden alle gesäubert. Wer auch immer
es war, er hat nicht ein einziges Blatt Papier zurückgelassen.“
Gu Yun drehte schweigend seine abgenutzten Gebetsperlen in
der Hand. Diese Vorfälle ‒ der geheimnisvolle Besuch des Würdenträgers von Kuai
Lantu, der „Herr Ja“ von Jing Xu ‒ sahen wie Zufälle aus, aber Gu Yuns
Intuition sagte ihm, dass hier mehr dahinter steckte, und zwar auf eine Art und
Weise, die er nicht ganz erklären konnte. Er hatte das unangenehme Gefühl, dass
sich hinter den Kulissen ein großes Komplott abspielte. Diese schattenhaften
Gestalten, die die brisante Situation an der Südlichen Grenze ausgelöst hatten,
arbeiteten hinter den Kulissen. Sie waren aus dem Nichts aufgetaucht und
spurlos verschwunden, sowohl ihre Identität als auch ihre Ziele waren ein
Rätsel. Sie schienen ein Feind zu sein, doch durch eine Reihe weiterer Zufälle
hatten sie ihm geholfen, in kurzer Zeit mit einer ganzen Reihe von Leuten
fertig zu werden, die ihm im Weg standen.
Gu Yun war sich nicht ganz sicher, ob er ihre Pläne
vereitelt hatte oder direkt in ihre Falle getappt war.
_______________________________
Die Person, für die Gu Yun jeden Zentimeter des bergigen
Geländes umgrub, um sie zu finden, stand derzeit an Deck eines unscheinbaren
kleinen Frachtschiffes, das auf der Südsee unterwegs war.
Herr Ja hatte seine komplizierte westliche Kleidung wieder
angezogen und blickte in diesem Moment auf ein kleines Stück Schafsleder
hinunter. Darauf war eine Karte des riesigen Gebietes von Groß-Liang
abgebildet. Er hob eine in rote Zinnobertinte getauchte Feder und zeichnete
einen kleinen roten Kreis in das Gebiet, das die Südliche Grenze darstellte.
Einschließlich dieser Markierung enthielt die Karte
insgesamt drei rote Kreise. Die beiden anderen lagen an der Nördlichen Grenze
und am Ostmeer. Der Stift von Herrn Ja schwebte über die Karte und landete am
Eingang zur Seidenstraße im Westen.
„Jetzt ist die Bühne frei.“ Herr Ja begann zu glucksen. „Jetzt
fehlt nur noch die Lunte. Wenn die Zündschnur brennt, wird mit Gebrüll ...“
Wang Bufan, der vom Aussehen her für einen Menschen der
Zentralebene hätte gehalten werden können, beendete das Gespräch für ihn. „Ein riesiges
Inferno, die Zentralebene verschlingend.“
Die beiden sahen sich an und lachten, dann stießen sie mit ihren
Weinbechern an.
____________________________
Als die Nachricht von der Krise an der Südlichen Grenze den
Sohn des Himmels erreichte, war er natürlich wütend. Er befahl Gu Yun, die
Banditenhäuptlinge und den Verrätergeneral unverzüglich zurück in die
Hauptstadt zu eskortieren. So war Gu Yun gezwungen, sein Misstrauen vorerst beiseitezuschieben
und nach Norden zu eilen. Als er jedoch daran dachte, dass sein geliebter Patensohn
endlich bereit war, mit ihm nach Hause zu gehen, und dass auf dem Grafenanwesen
wieder Leben einkehren würde, begann er, seiner Rückkehr in die Hauptstadt mit
einiger Vorfreude entgegenzusehen.
„Er ist viel charmanter geworden, seit er erwachsen ist“,
flüsterte Gu Yun Shen Yi zu wie ein stolzer alter Vater. „Aber er ist auf
einmal so reif und vernünftig geworden, daran kann ich mich nicht so recht
gewöhnen.“
„Wie schamlos“, urteilte Shen Yi lapidar und wurde wie
erwartet geschlagen. „Apropos“, fuhr er fort, „du hast Fu Zhicheng verhaftet,
was hast du jetzt vor?“
Die Verspieltheit wich aus Gu Yuns Gesicht. Er schwieg eine
Zeit lang, als er wieder sprach, tat er dies mit ernster Miene. „Jiping, es
gibt etwas, das ich in den letzten Jahren oft gedacht habe. Ist es nicht eine
Verschwendung von Talent, wenn du mir die ganze Zeit folgst?“
Shen Yi blickte ihn schweigend an.
„Du bist sowohl in der alten Geschichte als auch in
aktuellen Angelegenheiten bewandert, hast genug literarisches Talent, um in die
Hanlin-Akademie aufgenommen zu werden, und genug kämpferisches Talent, um eine
Region zu befrieden. Du warst so viele Jahre im Lingshu-Institut und im
Schwarzen Eisenbataillon untergetaucht. Es wird Zeit, dass du aus meinem
Schatten heraustrittst...“
Obwohl Chang Geng die Situation für ihn analysiert hatte,
war Shen Yi immer noch gerührt von Gu Yuns Worten. Die beiden waren sowohl
Kameraden als auch Freunde, und obwohl sie auf Leben und Tod miteinander
verbunden waren, so dass sie sich gegenseitig ihre Witwen und Waisen
anvertrauten, hatte Gu Yun ein Hundemaul, das nie ein aufrichtiges Wort
zustande brachte. Nicht ein einziges Mal hatte er Shen Yi direkt ins Gesicht
gelobt.
Shen Yis Augen brannten. „Zixi, ganz ehrlich, du musst nicht...“
„Außerdem schulde ich dir eine Entschuldigung“, fügte Gu
Yun ernsthaft hinzu. „Mit einer Naturschönheit wie mir in der Nähe sind deine
Chancen auf eine Romanze vereitelt worden. Nach all diesen Jahren bist du immer
noch alleinstehend. Wahrlich... tsk, es kann mir nicht genug leidtun.“
Shen Yi war sprachlos.
Nachdem er sein winziges Kontingent an ernsten Worten für
den Tag erfüllt hatte, war die selbst ernannte Naturschönheit wieder dazu
übergegangen, Absurditäten von sich zu geben. Shen Yi schob die herzliche
Antwort, die ihm noch immer im Hals steckte, hastig zurück in den Bauch und
trieb sein Pferd mit einem Spottgesang an.
Chang Geng beobachtete ihn in einiger Entfernung. Prompt
nutzte er die Gelegenheit, um im Galopp den freien Platz von Shen Yi
einzunehmen und Schulter an Schulter mit Gu Yun zu reiten. „Was hast du getan,
dass General Shen wieder die Beherrschung verloren hat?“
Gu Yun rieb sich mit einem schwachen Lächeln die Nase.
Als er sah, dass ein Blatt an Gu Yuns Leichter Fellrüstung
klebte, griff Chang Geng danach und zupfte es ab. Aufmerksam sagte er: „Yifu,
selbst die leichteste Rüstung wiegt über zwanzig Kilogramm. Warum ziehst du sie
nicht aus und gönnst dir eine Pause?“
Gu Yun hatte keine Einwände. Er erlaubte Chang Geng, ihm zu
helfen, die Leichte Fellrüstung abzuschnallen und die Teile Stück für Stück
auszuziehen. Vielleicht ritten sie zu nah aneinander heran; aus irgendeinem
Grund beschlossen ihre Pferde, dass sie sich gegenseitig mochten, die beiden
begannen, sich amourös aneinanderzuschmiegen.
Gu Yun legte eine Hand auf den Kopf seines Pferdes, um es
wegzuziehen. „Sei nicht so ein Halunke.“
Die Spange an seinem Arm wurde halb entfernt, und mit einer
Handbewegung flog das ganze Teil fast von seinem Handgelenk und riss etwas aus
seinem Ärmel mit. Chang Geng reagierte schnell und fing den fallenden
Gegenstand auf. Es war eine grobe Holzflöte.
Zunächst begriff keiner von beiden, was geschehen war.
Chang Geng fragte sich: Warum trägt er eine schäbige
kleine Flöte mit sich herum?
Gu Yun war immer noch verwirrt. Was war das, was da
gerade herausgeflogen war?
Ihre Blicke fielen gleichzeitig auf die verwitterte
Bambusflöte mit dem gebrochenen Fuß. Chang Geng hatte plötzlich das Gefühl,
dass ihm diese Flöte ein wenig bekannt vorkam. Gu Yun hingegen reagierte, als
hätte ihn der Blitz getroffen. Jetzt erinnerte er sich ‒ dieser Gegenstand war
auf unehrenhafte Weise erworben worden!
Sie bewegten sich im selben Moment. Gu Yuns Hand schoss
hervor, um sie zu ergreifen, während Chang Geng instinktiv seinen Griff
festigte. Ihre Hände, die beide die Bambusflöte umklammerten, erstarrten in der
Luft.
„Darf ich sie nicht sehen?“, fragte Chang Geng ganz
unschuldig.
„Was gibt es da zu sehen?“
Gu Yun riss die kleine Bambusflöte aus Chang Gengs Griff
und schob sie zurück in seinen Ärmel, was nur dazu diente, noch mehr
Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Chang Geng hatte Gu Yun selten so
schuldbewusst handeln sehen. Unwillkürlich erinnerte er sich an jenen Tag in
Jiangnan vor vier Jahren und an die kleine Tochter von Kommissar Yao, die vor
Liebeskummer schluchzte. Ihm dämmerte ein vages Verständnis, doch er wagte
nicht so recht, es zu glauben. Er fragte beiläufig: „Hat sie dir jemand
geschenkt?“
„Ich habe sie selbst geschnitzt.“ Gu Yun log ohne eine Spur
von verlegenem Erröten oder nervösem Atem.
„Oh.“ Chang Geng blinzelte. Nach einem Augenblick bemerkte
er beiläufig: „Ich wusste nicht, dass in Loulan Bambus wächst.“
Gu Yun antwortete nicht.
Chang Geng blinzelte noch einmal langsam, sein Blick schien
zu flackern. Mit einem leisen Lachen sagte er: „Yifus Handwerkskunst ist
ziemlich grob. Warum schnitze ich dir nicht einmal eine bessere?“
Gu Yun war völlig unfähig, sich zu verteidigen, er war
zutiefst verlegen und absolut sicher, dass der Junge ihn durchschaut hatte und
sich über ihn lustig machte. Aber sein Diebstahl der Flöte war zu ungeheuerlich
gewesen; er hatte keine Möglichkeit, sich zu entlasten. Ihm blieb nichts
anderes übrig, als seine Niederlage wie ein besiegter Held hinzunehmen, seinen
flauschigen Baumwollschwanz zwischen die Beine zu klemmen und sich aus dem
Staub zu machen.
Chang Geng jagte ihm nicht hinterher. Er blieb an Ort und
Stelle und genoss noch lange den Nachgeschmack dieses Vorfalls, wobei er
versucht war, wieder zu lachen. Im Geiste ließ er die Szene noch einmal von
Anfang bis Ende Revue passieren: Gu Yun, der sich im Morgengrauen in den Hof
eines kleinen Kindes schlich, um eine Bambusflöte zu stehlen... Sein Herz
erblühte vor Freude, die den Rest des Tages anhielt und erst verblasste, als
die Sonne sich nach Westen neigte.
Der anhaltende Duft dieser Blüten verdrängte das Wu'ergu in
eine winzige Ecke seines Herzens. Als ihre fallenden Blütenblätter den Fluss
unter ihm rot färbten, keimte der Samen einer Idee zu einem verschlungenen Netz
von Zweigen auf.
Warum hatte er sie all die Jahre aufbewahrt?
Hatte er sie bei sich und nahm sie heraus, um sie
von Zeit zu Zeit anzuschauen?
Wenn sein kleiner Yifu diese Flöte ansah, würde er dann an
Chang Geng denken?
Bedeutete das, dass Gu Yun ihn... mehr mochte, als er
dachte?
Und wenn das so war... Wie weit konnte er sein Glück noch
herausfordern? Könnte er ihm noch näher kommen?
Der schwache Duft von Fräulein Chens beruhigendem Duft
wehte aus seinem Beutel. Chang Geng starrte Gu Yun hinterher, Chen Qingxus
Worte, ‘der Natur ihren Lauf zu lassen‘, hallten in seinem Kopf wider. Er stand
kurz davor, von diesen Worten verbrannt zu werden. Er wagte es nicht, seine
Fantasien zu sehr ausufern zu lassen, aber während er sich unbehaglich an diese
winzige Möglichkeit klammerte, kratzte sie an seinem Herzen und an seinem
Inneren und nagte an ihm bis ins Mark.
Die Reise, um Gefangene in den Norden zu eskortieren, hätte
bitter und lang sein müssen. Aber vielleicht wegen des schnellen Tempos des
Schwarzen Eisenbataillons oder weil Chang Geng so sehr wünschte, ihre Ankunft
zu verzögern, erreichten sie die Hauptstadt noch vor der Wintersonnenwende.
Inzwischen hatte die Rebellion an der Südlichen Grenze, die
sowohl den Hof als auch das Volk in Erstaunen versetzt hatte, eine seismische
Explosion in den Tiefen der Hauptstadt ausgelöst.
Sun Jiao kehrte halb tot in die Hauptstadt zurück. Nachdem
er einen Schock nach dem anderen erlitten hatte, war er krank geworden und an
sein Bett gefesselt. Selbst der Longan-Kaiser hätte nie erwartet, dass sein
Manöver zur Durchsetzung des Marschbefehls den Kommandanten der südlichen
Grenzarmee zu einer Rebellion anstiften würde. Fassungslos und wütend ordnete
er eine gründliche Untersuchung an. Die Auswirkungen dieses Falles waren
weitreichend, das Personal-, das Justiz- und das Kriegsministerium, das
kaiserliche Revisionsgericht und sogar die Aufsichtskommission waren in
höchster Alarmbereitschaft. Gu Yun kam während seiner seltenen Rückkehr in die
Hauptstadt nicht zur Ruhe. Anstatt sich von seinen militärischen Pflichten zu
erholen, wurde er alle paar Tage zum Verhör in den Palast gerufen.
Die Beweise waren eindeutig: Fu Zhicheng, Gouverneur des
Südwestens, hatte sich mit Banditen verbündet, einen ernannten Hofbeamten
ermordet, Violettes Gold geschmuggelt und eine Rebellion geplant. Alle
Banditenhäuptlinge und der Anführer der Rebellengruppe wurden kurz
hintereinander zum Tode verurteilt, und ihre Familien gingen mit ihnen zum
Hinrichtungsblock.
Der erbarmungslose und unnachgiebige Longan-Kaiser ließ es
dabei nicht bewenden. So wie ein entwurzelter Rettich die Erde aufwirbelt, in
der er wächst, so wurden bei den Ermittlungen bald alle Angeklagten verwickelt,
sogar Mitglieder der sechs zentralen Ministerien kamen nicht ungeschoren davon.
Die Situation geriet schnell außer Kontrolle. Jeder, der enge persönliche
Beziehungen zu Fu Zhicheng unterhielt, jeder, der Bestechungsgelder angenommen
hatte, um Fu Zhicheng Hintertüren zu öffnen und sogar die alten Minister, die
Fu Zhicheng vor langer Zeit für seine Position empfohlen hatten, waren alle
durch Assoziation schuldig erklärt worden. Keiner entging der Bestrafung.
Einige wurden inhaftiert. Andere wurden aus ihren Ämtern
entlassen. Ein Schrecken legte sich über den kaiserlichen Hof, die gesamte
Hauptstadt wurde in die bedrückende Düsternis von Paranoia und Misstrauen
gehüllt.
Der Himmel blieb bis zur Jahreswende bedeckt, als
schließlich ein großer Schneesturm vom Himmel fiel.
Erklärungen:
Da er nie Affen zum Schlachten gehalten hatte,
hatte er sich auch nie wirklich mit Enthauptungstechniken beschäftigt:
Affenhirn
war eine historische Delikatesse, die vor allem als Teil des kaiserlichen
Banketts der Mandschu-Han im Qing-Reich serviert wurde.
Gib die Blume weiter ist
ein Spiel, bei dem die Spieler im Kreis sitzen und eine Blume herumreichen,
während eine Trommel geschlagen wird.
Daozhang, 道长, ist eine höfliche Anrede für Kultivierer, gleichbedeutend mit ‘Herr Kultivierer/ Frau Kultiviererin’. Kann allein als Titel verwendet oder an den Familiennamen einer Person angehängt werden. Daozhang heißt wörtlich übersetzt ‘Daoistischer Meister‘.
⇐Vorheriges Kapitel Nächstes Kapitel⇒
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen