Die Augen des Jugendlichen und des Mörders trafen in einer unvermeidlichen Konfrontation aufeinander. Obwohl die Reißzähne und Krallen des Wolfswelpen noch nicht ganz geschärft waren, war seine Bösartigkeit angeboren.
Vielleicht war das seine natürliche Veranlagung. In
lebensbedrohlichen Situationen gibt es zwei Arten von Menschen, die sich
wehren. Die ersten sind diejenigen, die nach reiflicher Überlegung — vielleicht
aus einem Gefühl der Moral, der Verantwortung oder der persönlichen Integrität
heraus oder nach Abwägung der Vor- und Nachteile — das Gefühl haben, dass sie
keine andere Wahl haben als zu kämpfen. Obwohl diese Menschen Angst haben,
erlaubt es ihnen ihr Gewissen oder ihre Vernunft, ihre Ängste zu überwinden und
wahre Tapferkeit zu zeigen.
Der zweite Typ sind diejenigen, die über gar nichts
nachdenken. Alle ihre Handlungen entspringen dem Instinkt. Sie werden
instinktiv wütend und sind instinktiv von Kampfgeist erfüllt. Selbst wenn sie
sich vage bewusst sind, dass ihr Widerstand zu schlimmeren Folgen führen
könnte, können sie dem Drang nicht widerstehen, ihrem Feind ein Stück Fleisch
abzureißen.
In diesem Moment war Chang Geng zweifelsohne der Letztere.
Wie von Chang Gengs Blick gestochen, hob der
narbengesichtige Krieger wütend seine riesige Faust und wollte ihm auf der
Stelle das Hirn zertrümmern.
In diesem Moment ertönte ein wütender Schrei von draußen.
Der Körper des Barbaren, der an der Tür Wache stand, flog durch die Luft und
zerstörte den halben Raum. Das schwach beleuchtete Boudoir erhellte sich, als
das Sonnenlicht hereinströmte. Chang Geng kniff die Augen zusammen, doch bevor
er den kalten Lichtschimmer vor sich wahrnehmen konnte, hörte er einen
markerschütternden Schrei. Der Arm, mit dem der narbengesichtige
Barbarenkrieger Chang Geng in die Höhe gehalten hatte, war vollständig und
erbarmungslos abgetrennt worden. Mit den Füßen in der leeren Luft stürzte Chang
Geng hilflos zur Seite, nur um von den Metallarmen einer anderen schweren
Rüstung sanft aufgefangen zu werden.
Im Hof von Shen-Xiansheng lagen immer wieder zerlegte
leichte Rüstungen herum. Schwere Rüstungen hingegen waren extrem teuer und
wurden nie an zivile Handwerker zur Instandhaltung abgegeben. Nicht einmal
einem Kunsthandwerker mit Verbindungen zu Kompaniechef Xu wurden sie
anvertraut. Es gab nur eine einzige Ausnahme — eine schwere Rüstung, die so
kaputt und verfallen war, dass sie in den Hang des Generals gebracht wurde.
Dank seiner Beziehungen hatte Shen-Xiansheng privat darum gebeten, sie behalten
zu dürfen, und nachdem er sie nach Hause gebracht hatte, hatte er die alte,
zerbrochene Rüstung mit Begeisterung Stück für Stück auseinandergenommen und
Chang Geng eine gründliche Übersicht über alle Bestandteile gegeben.
Chang Geng erinnerte sich daran, dass er gesagt hatte, eine
schwere Rüstung anzuziehen sei so, als würde man hunderttausend Kilogramm
zusätzliches Gewicht tragen. Es war ein Leichtes, mehrere Pferde zu zermalmen
oder mehrere Mauer von einer Befestigungen zu zerstören. Mit ein wenig Wissen
über die Grundlagen konnte das sogar ein Kind tun. Die größte Schwierigkeit bei
der Handhabung einer schweren Rüstung bestand nicht darin, extreme Kraftakte zu
vollbringen. Im Gegenteil: Die geschicktesten gepanzerten Krieger waren
diejenigen, die die feinsten Nadeln einfädeln konnten, während sie die
schwerste Rüstung trugen.
Die Rüstung des Neuankömmlings unterschied sich von den
Anzügen der Barbarenkrieger. Sie schien leichter gebaut zu sein, und ihre
Oberfläche schimmerte auch nicht kalt silbern. Vielmehr war sie pechschwarz und
wirkte eher unscheinbar. Der Neuankömmling klopfte Chang Geng leicht auf den
Rücken, setzte den Jungen dann auf eine Schulter und sagte mit leiser Stimme: „Habt
keine Angst."
Die Stimme, die durch die Rüstung kam, war verzerrt, aber
Chang Gengs Ohren waren scharf. Er drehte sich um und starrte nachdenklich auf
die eiserne Maske, die ihren Träger vor den Augen verbarg.
Die Barbaren, die an der Tür standen, schienen ihre Sinne
wiedergefunden zu haben. Wie ein Bienenschwarm stürmten sie los und bildeten
mit Narbengesicht in der Mitte einen Kreis um den schwarzgepanzerten Krieger
und Chang Geng. Der schwarz gepanzerte Krieger hob eine Hand, um die Stelle zu
schützen, an der Chang Geng auf seiner Schulter saß, und hob mit der anderen
einen glatt polierten Stab. Aus dem einen Ende des unscheinbaren Eisenstabs
strömten dünne Dampfschwaden.
Der schwarz gepanzerte Krieger hatte dem Narbengesicht den
Arm zu schnell abgehackt, als dass Chang Geng sie noch klar sehen konnte. Jetzt
schoss ihm eine Funke des Zweifels durch den Kopf, als er sich fragte: Ist
diese winzige Eisenstange seine einzige Waffe?
Das Gesicht des vernarbten Kriegers war schweißgebadet, und
sein Teint war aschfahl geworden. Er machte zwei vorsichtige Schritte zurück
und sagte mit kehliger Stimme: „Schwarze Panzerrüstung und ein Windsäbel ... Du
bist eine dieser Dämonenkrähen."
Chang Geng saß einen Moment lang fassungslos da, dann
versteifte sich sein Rückgrat — Dämonenkrähen!
Jetzt erinnerte er sich. Vor vierzehn Jahren, während der Nördlichen
Expedition, war das Schwarze Eisenbataillon wie ein schwarzer Wirbelsturm tief
in das Herz der weiten Grasländer des Nordens eingedrungen. Die Mitglieder der
Barbarenstämme betrachteten sie mit Furcht und Hass und bezeichneten sie als ‘Dämonenkrähen‘.
Der schwarz gepanzerte Krieger ignorierte ihn und wies
Chang Geng leidenschaftslos an: „Haltet Euch fest."
Das Narbengesicht stieß einen Kampfschrei aus, und die vier
Barbarenkrieger folgten seinem Beispiel und stürmten in geübter Formation
vorwärts. Als Schwerter und Speere in alle Richtungen schwangen, blitzte unter
den Füßen des schwarz gepanzerten Kriegers ein dunkelviolettes Licht auf, das
es ihm ermöglichte, nahtlos zwischen den glitzernden feindlichen Klingen
hindurchzukommen. Mit einem Sprung landete der schwarz gepanzerte Krieger auf
dem bröckelnden Dach der Xu-Residenz. Seine linke Schulter — diejenige, die
Chang Geng stützte — bewegte sich kaum unter dem Jungen, aber in dem Moment, in
dem er wieder auf die Beine kam, wirbelte der Krieger seinen rechten Arm so
schnell herum, dass der Eisenstab in seiner Hand nur noch ein verschwommenes
Nachbild war.
Chang Geng riss die Augen weit auf und sah, wie ein Ring
aus geisterhaften Klingen aus einem Ende des Stabs des schwarz gepanzerten
Kriegers hervorging und wie ein Tornado nach unten fegte. Der gepanzerte
Barbarenkrieger, der ihm am dichtesten auf den Fersen war, hatte keine Zeit zum
Ausweichen und wurde von dem Schlag direkt in die Brust getroffen. Der Goldtank
über seinem Herzen zerbrach, und das darin enthaltene violette Gold entzündete
sich in einer furchtbaren Flamme. Das metallene Ungetüm explodierte augenblicklich
und hinterließ ein blutiges, zerstückeltes Chaos.
Versengende Blutstropfen spritzten auf Chang Gengs Gesicht.
Unter Aufbietung all seiner Selbstbeherrschung bewahrte er gerade noch die
Fassung und umklammerte mit den Händen fest die Schulter des schwarz
gepanzerten Kriegers.
Dies war das legendäre unbesiegbare Schwarze
Eisenbataillon, das seine Feinde hundert zu eins besiegen konnte.
Die übrigen Barbaren erkannten die ungleiche Stärke und
wagten es nicht, sich auf einen Einzelkampf gegen diesen Feind einzulassen.
Nachdem sie einen Blick ausgetauscht hatten, stürmten sie aus Xiu-Niangs Zimmer
und sprangen aus allen Richtungen auf das Dach. Einer stürzte sich von unten
auf den schwarz gekleideten Krieger und hackte auf die Gelenke seiner Beine
ein, während ein anderer ein Schwert gegen seinen Kopf schwang, um ihn an der
Flucht nach oben zu hindern. Ein dritter stürzte sich von hinten auf den
schwarz gepanzerten Krieger und stach auf den Goldtank an seiner Taille ein.
Nachdem er seinen Arm verloren hatte, zog sich das
Narbengesicht einige Dutzend Schritte weit zurück. Er hob seinen verbliebenen
Arm, und ein Ende seines Armschutzes brach auf und enthüllte die unheimliche
Spitze eines Pfeils, der geladen und abschussbereit war. Er richtete die Waffe
auf Chang Geng, der immer noch auf der Schulter des schwarz gepanzerten
Kriegers hockte.
Diese Barbaren waren gemeinsam auf der Jagd aufgewachsen.
Sie wussten, wie sie ihre Beute jagen, einkesseln und erlegen konnten, und ihre
Zusammenarbeit war praktisch einwandfrei.
Die neblige weiße Luft füllte sich mit haarsträubender
Tötungsabsicht.
Chang Geng hatte endlich den Mechanismus hinter dem Stab
des schwarz gekleideten Kriegers herausgefunden. Wenn der Stab schnell gedreht
wurde, fuhren mehrere schwarze Eisenklingen von etwa dreißig Zentimetern Länge
mit feinen Dampfstößen aus einem Ende der Waffe heraus. Wenn die Waffe
zurückgezogen wurde, fuhren die scharfen Klingen schnell in versteckte
Einschnitte an der Seite des Stabes zurück und verschwanden aus dem Blickfeld.
Bei jedem Ausfahren und Zurückziehen schwangen die Klingen im Kreis, wie ein
furchterregender Fleischwolf.
Ohne Vorwarnung traten Chang Gengs Füße durch die Luft, als
der schwarz gepanzerte Krieger das Gewicht des Jungen von seiner Schulter auf
seine Ellenbeuge verlagerte. Er drückte Chang Geng fest gegen die Brustplatte
seiner schweren Rüstung, bevor er sich unerwartet nach hinten beugte. Chang
Geng war zu Tode erschrocken. Abgesehen von seinem eigenen Gewicht musste
allein diese schwere Rüstung mehrere Hundert Kilogramm wiegen. Wenn er sich so
nach hinten beugte, lastete das ganze Gewicht auf der Taille des schwarz
gekleideten Kriegers — würde seine Wirbelsäule unter der Last nicht brechen?
Doch der schwarz gepanzerte Krieger machte weiter und
vollführte einen sauberen Rückwärtssalto in der Luft. Dann sprang er mit Chang
Geng in den Armen vom Dach und wich dem Pfeil des Narbengesichts nur knapp aus.
Das Schimmern der Klingen des Windsäbels verdichtete sich zu einem lang
gezogenen Hieb, und schnitt einen Barbaren nieder, während er einen anderen von
seinen Beinen befreite, so einfach und schnell wie ein Falke, der sich auf ein
Kaninchen stürzt. Aus den Beinschienen des schwarz gekleideten Kriegers stieg
Dampf auf, der die schwere Rüstung im Handumdrehen mehrere Dutzend Meter weit
schleuderte.
Es wäre ein Kinderspiel gewesen, den Rest der feindlichen
Soldaten zu erledigen. Aber da Chang Geng anwesend war, griff er sie nicht
weiter an.
„Ich begleite Euch erst einmal aus der Stadt", sagte
der schwarz gekleidete Krieger. „Hier ist es zu gefährlich. Was Eure Mutter
angeht ... mein Beileid."
Chang Geng lehnte sich schweigend an den schwarzgepanzerten
Krieger. „Meine Mutter hat sich mit Gift umgebracht", sagte er nach einem
Moment. „Sie stand die ganze Zeit über mit den Barbaren in Kontakt.
Wahrscheinlich war sie eine Spionin für sie."
Der schwarz gekleidete Krieger sagte nichts. Offenbar war
eine solche Enthüllung für ihn nicht überraschend.
„Du hast den Sohn einer Spionin der Barbaren gerettet. Wie
unglücklich von dir", Chang Geng hielt noch einmal kurz inne, bevor er die
Maske des anderen zerriss, „Shen-Xiansheng."
Feine Ströme von weißem Dampf quollen aus dem Gesicht des
schwarz gekleideten Kriegers. Das schwarze Eisenvisier klappte hoch und
enthüllte Shen Yis sanfte und gelehrte Miene.
„Während der Nordpatrouille gab es eine Meuterei auf dem
Riesendrachen", sagte Shen Yi. „Ich dachte, Xu-Xiong
sei vielleicht der Verräter, aber jetzt scheint es, dass Xiu-Niang aus
Schuldgefühlen gegenüber ihrem Mann Selbstmord begangen hat. Xu-Xiong ist
wahrscheinlich bereits für das Land gestorben, ohne die Wahrheit zu kennen. Was
Euch betrifft, so tut mir Euer Verlust sehr leid."
„Du hast es also die ganze Zeit gewusst ...", murmelte
Chang Geng. „Wer bist du?"
„Dieser bescheidene Beamte ist ein Offizier des Schwarzen
Eisenbataillons und ein Untergebener von Marschall Gu", sagte Shen Yi.
Ein Offizier des Schwarzen Eisenbataillons und ein
Untergebener des Grafen von Anding, Gu Yun.
Als Chang Geng diese Worte verdaute, fand er das alles sehr
merkwürdig. Er hatte gerade erst erfahren, dass seine Mutter nicht nur keine
Blutsverwandtschaft mit ihm hatte, sondern auch eine Spionin der Barbaren war.
Nun stellte sich heraus, dass der pedantische, verarmte Gelehrte von nebenan,
dessen Hände ständig von Maschinenöl befleckt waren, ein General des Schwarzen
Eisenbataillons war.
Und was ist dann mit Shiliu?
Chang Geng dachte mit einem humorlosen Lächeln, dass er,
selbst wenn ihm jetzt jemand sagen würde, dass sein Pate in Wirklichkeit
Marschall Gu selbst war, nicht mehr die Kraft hätte, sich zu wundern.
„Warum lebt ein direkter Untergebener von Marschall Gu
zurückgezogen in einer Stadt im Hinterland? Warum habt Ihr mich, den Sohn eines
Stammesangehörigen, der Barabren gerettet?" In dem Moment, als diese
beiden Fragen aus Chang Gengs Mund kamen, wusste er, dass er kurz davor war,
den Verstand zu verlieren. Er zwang sich, den Mund zu halten, aber er konnte
nicht verhindern, dass sich eine letzte überflüssige Frage zwischen seine Zähne
zwängte. „Was ist mit Shen Shiliu?"
Nachdem er diese letzte Frage gestellt hatte, wurde Chang
Geng von einer unbeschreiblichen Welle der Traurigkeit überrollt. Nach allem,
was geschehen war, konnte er nicht umhin, an Shen Shiliu zu denken. Er wusste
genau, dass es sich bei dieser Person zweifellos um eine geheimnisvolle Person
von großem Ruf handelte, die gekommen war, um eine verdeckte Inspektionstour
durch das Land zu machen. Dennoch sorgte sich Chang Geng um sein schlechtes
Sehvermögen und sein schwaches Gehör und fragte sich, ob er versehentlich Opfer
eines Schwertkampfes werden könnte oder ob er ein Versteck finden würde ...
Und was noch schlimmer war, er konnte nicht umhin, sich zu
fragen: Warum war Shen-Xiansheng derjenige, der mich suchte? Warum ist
Shiliu nicht selbst gekommen?
Der Himmel erbebte unter den Kampfschreien, als der Riesendrachen
die Stadt Yanhui in seinen Schatten hüllte. Ab und zu fielen Nebensonnenpfeile
wie verweilende Gespenster. In der Ferne fing ein Haus Feuer, und der Brand
breitete sich schnell in der Stadt aus. Shen Yi ignorierte das Chaos um ihn
herum mit einem Ausdruck kalter Gleichgültigkeit, während er sich durch den
Pfeilregen bewegte wie ein Vogel im Flug oder ein Fisch im Wasser. „Eure
Hoheit, bitte haltet Euch fest."
„Wie habt Ihr mich gerade genannt?", fragte Chang Geng
wie betäubt.
Ruhig und gelassen erklärte Shen Yi: „Vor vierzehn Jahren
begab sich Seine Majestät der Kaiser auf eine Reise in den Süden. Damals war
die Edle Gemahlin schwanger und blieb in einer der vorübergehenden kaiserlichen
Residenzen zurück. Ein böser Attentäter verübte ein Attentat auf sie, aber zum
Glück gelang ihr mithilfe ihrer treuen Diener und ihrer Schwester die Flucht.
Auf ihrer Flucht nach Süden stießen sie jedoch unerwartet auf eine Gruppe
gewalttätiger Aufständischer. Die edle Gemahlin war in schlechtem
Gesundheitszustand. Inmitten der Unruhen und Verwirrungen riskierte sie ihr
Leben, um Eure Hoheit zur Welt zu bringen, konnte sich aber nicht mehr mit
Seiner Majestät vereinigen.
„Die jüngere Schwester der edlen Gemahlin floh mit Eurer
Hoheit in ihrer Obhut, und wir verloren den Kontakt zu Euch. Im Laufe der Jahre
hat Seine Majestät zahlreiche Abgesandte zu privaten Nachforschungen geschickt,
immer in dem Glauben, dass Eure Hoheit bei dieser Tragödie ums Leben gekommen
ist. Das heißt, bis vor drei Jahren, als endlich Hinweise auftauchten. Deshalb
hat er uns hierhergeschickt, um Sie zu treffen", erklärte Shen Yi kurz und
bündig. „Bitte verzeihen Sie mir, Eure Hoheit, dass ich meine wahre Identität
die ganze Zeit nicht preisgeben konnte.“
Chang Geng, hin- und hergerissen zwischen Lachen und Weinen,
dachte, dass Shen-Xianshengs Gehirn vielleicht mit Motoröl gefüllt war. Diese
wilde Geschichte, die er sich ausgedacht hatte, war so löchrig, dass sie fast
aus den Nähten platzte. Dann war Xiu-Niang nach seiner Erzählung die jüngere
Schwester der edlen Gemahlin? Könnte es sein, dass die edle Gemahlin ebenfalls
eine Barbarin war? Und würde der Kaiser wirklich nur zwei Leute aussenden, um seinen
verlorenen Sohn zu finden? Und selbst wenn der Kaiser tatsächlich so verarmt
war, dass er es sich leisten konnte, von den zahllosen zivilen und
militärischen Beamten des kaiserlichen Hofes nur zwei zu entsenden, warum
sollten diese Leute über zwei Jahre lang verdeckt bleiben?
Ein General des legendären Schwarzen Eisenbataillons hatte
direkt nebenan gewohnt! Wie konnte er nichts von Xiu-Niangs geheimer
Korrespondenz mit den Barbaren wissen? Warum hat er sie nicht aufgehalten?
Wie absurd!
Chang Geng wischte die Zweifel, die sein Herz trübten,
beiseite und unterbrach Shen Yi. „Ihr habt die falsche Person erwischt."
„Eure Hoheit ...", sagte Shen Yi.
„Ihr habt die falsche Person!" Chang Geng war völlig
erschöpft. Er hatte keine Geduld mehr für diese Leute, die nur Lügen
verbreiteten. „Lasst mich runter. Ich bin der uneheliche Sohn dieser Frau der
Barbaren, die mit einem unbekannten Bergbanditen zusammen war. Ich bin kaum
würdig, von einem General des Schwarzen Eisenbataillons gerettet zu werden, und
ich bin auch nicht würdig, jemanden von so erhabenem Status meinen Paten zu
nennen."
Als er seine letzten Worte hörte, seufzte Shen Yi und
spürte, dass sich der größte Teil von Chang Gengs Zorn auf Shiliu richtete.
Durch seine Beteiligung war er ein bequemes Ziel für den Zorn des Jungen
geworden. Shen Yi nahm sanft einen von Chang Gengs zappelnden Füßen in die Hand
und sagte: „Bitte verzeihen Sie mir meine Ungehörigkeit. Der rechte kleine Zeh
Eurer Hoheit ist etwas stärker gekrümmt als bei den meisten gewöhnlichen
Menschen. Er ist identisch mit dem seiner Majestät und ein Kennzeichen aller kaiserlichen
Nachkommen. Das ist kein Irrtum."
Chang Geng zog seinen Fuß schnell zurück, während sein Herz
noch kälter wurde.
Er erinnerte sich an diesen Vorfall. Sein Zeh war gar nicht
von Geburt an gekrümmt gewesen. Vielmehr war er von Xiu-Niang persönlich
zertrümmert worden. Sie hatte seine schluchzenden Schreie ignoriert und ihm den
Zeh brutal gebrochen, bevor sie ihn mit einer von Frauen angewandten Fußbindetechnik umwickelte und
seine Knochen in eine deformierte Wölbung zwang.
Ein Nachfahre von Drachen und Phönixen? Was für ein
Schwachsinn. Wenn man bedenkt, dass selbst das gefälscht sein könnte.
Erklärungen:
Xiong, 兄, ist ein Wort, das ‘älterer Bruder‘ bedeutet. Es kann als Nachsilbe angehängt werden, um einen nicht verwandten männlichen Gleichaltrigen anzusprechen.
Der Titel Edle Gemahlin, 皇貴妃, war ein Titel für Frauen. Die
im kaiserlichen Harem Chinas während des größten Teils des Zeitraums von 1457
bis 1915 an zweiter Stelle nach der Kaiserin standen. In der Ming-Dynastie war
der Rang der Edlen Gemahlin der höchste Ehrentitel einer kaiserlichen Gemahlin.
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Ob das Gift Chang Geng angesichts von Gefahren so mutig und widerstandsfähig macht, oder ist es sein Charakter? Vielleicht ist es aber auch eine Mischung aus beiden.
AntwortenLöschenSelbst nach so vielen todesgefährlichen Situationen denkt Chang Geng immer noch an seinen Yifu, wie süß.
Die Erkenntnis von wem er abstammt ist ein riesiger Schock für Chang Geng, aber um ehrlich zu sein, für wenn wäre das kein Riesenschock.
Ich fand die Brutalität von Chang Gengs Tante Xiu-Niang sehr brutal. Okay, aber wer versucht ein kleines Kind zu töten, der hat auch keine Hemmungen ein kleines Kind zu verletzen und zu quälen.