Die Barbaren hatten alles, was sie besaßen, in diese Strategie gesteckt und waren mit all ihren schweren Rüstungen angetreten, um einen Überraschungsangriff auf die Stadt Yanhui zu starten. Was bedeuteten all diese schweren Rüstungen —kostspielige Waffen, die selbst Groß-Liang nur mit Mühe finanzieren konnte — für die achtzehn Barbarenstämme? Das Blut, der Schweiß und die Tränen ihres Volkes hätten ihnen nicht annähernd genug eingebracht, um sich solche Waffen leisten zu können — sie hätten ihr Knochenmark dreimal auskratzen müssen, um das alles zu bezahlen.
Die Barbaren des Nordens sind mit wilden Wölfen
aufgewachsen; sie waren von Natur aus zum Krieg bereit. Mit der Ausführung
ihres sorgfältig ausgearbeiteten Plans und der Erlangung dieser schwer
gepanzerten Infanterie hätten sie in der Lage sein müssen, all jene, die ihnen
den Weg versperrten, mit einem einzigen Großangriff hinwegzufegen.
Zu ihrem Pech trafen sie zufällig auf das Schwarze
Eisenbataillon.
Die Schwarzen Falken übernahmen mühelos die Kontrolle über
den Riesendrachen, während die Schwarz Panzer den Barbarenprinzen lebendig
gefangen nahmen, bevor sie die besiegten Reste seiner Truppen mit Gu Yuns
stillschweigender Erlaubnis in der ganzen Stadt abschlachteten. Die Sonne war
noch nicht einmal untergegangen, da war die Schlacht schon vorbei.
Doch damit war es noch nicht getan.
Nachdem er die fremden Feinde schnell beseitigt hatte,
wandte Gu Yun seine Klinge, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, gegen seine
eigene Seite. Er nutzte die Ehrfurcht vor der phänomenalen Macht des Schwarzen
Eisenbataillons aus und verhaftete auf einen Schlag mehr als sechzig größere
und kleinere Militäroffiziere aus der Stadt Yanhui, dem Changyang-Pass und
anderen Siedlungen entlang der nördlichen Grenze und hielt sie alle fest, um
sie zu verhören. An der Nordgrenze herrschte große Besorgnis, da alle um ihre
eigene Sicherheit fürchteten.
Chang Geng und Ge Pangxiao hielten sich vorerst in der
Residenz des Magistrats der Stadt Yanhui, Magistrat Guo, auf. Allein der
Anblick von Gu Yun ließ Magistrat Guo vor Angst zittern, selbst darin
verwickelt zu werden. Als klar wurde, dass er stattdessen die Aufgabe hatte,
sich um den jungen Prinzen zu kümmern, wurde ihm klar, dass er nur knapp einer
Katastrophe entgangen war. Er wagte es nicht, den Jungen auch nur ein bisschen
zu vernachlässigen. Zwei Reihen von Dienern wurden in den Hof geschickt, wo sich
Chang Geng aufhielt, um auf ihn zu warten. Abgesehen davon, dass er Chang Geng
persönlich den Tee einschenkte, tat er sein Bestes, um der perfekte Gastgeber
zu sein.
Ge Pangxiao, der von seiner Verbindung mit Chang Geng
profitierte, genoss ebenfalls die respektvolle Behandlung, die der kaiserlichen
Familie vorbehalten war. Nachdem er sich von den Kriegswirren erholt hatte, war
dem kleinen Schweinchen plötzlich bewusst geworden, dass er nun ein mittelloses
Waisenkind war, und er brach in Tränen aus. Erst nach der Hälfte seines
Schluchzens erinnerte er sich daran, dass Chang Geng ebenfalls allein und
hilflos war. Zwar hatte er noch Familie in Form seines Paten, aber Shiliu
schien völlig verschwunden zu sein und kam nie zu ihm. Ge Pangxiao konnte nicht
anders, als mit Chang Geng mitzufühlen. Jetzt schämte er sich, weil er vor ihm
so laut geweint hatte.
Aber außer Weinen gab es nicht viel anderes zu tun. An den
Fingern abzählend, versuchte Ge Pangxiao, alle wichtigen Ereignisse dieses
Tages aneinanderzureihen. Am Ende gab er auf. Es war alles zu kompliziert, als
dass er es verstehen konnte, und egal, wie er die Dinge in seinem Kopf drehte
und wendete, sie endeten in einem Wirrwarr.
„Dage“, fragte er Chang Geng, „sie sagten, dein Vater sei
der Kaiser, heißt das dann, dass Tante Xiu die Kaiserin war?“
Chang Geng hielt einen halben Seidenpfeil in der Hand. Als
er Ge Pangxiao an jenem Tag gerettet hatte, hatte er einen einzelnen Pfeil aus
seiner Eisenstulpe geschossen. Später, als er das Schlachtfeld räumte, hatte er
ihn heimlich wiedergefunden. Bei Eisenwaren war es im Allgemeinen schwierig,
sowohl die Schärfe als auch die Haltbarkeit zu erhalten. Die Seidenpfeile, die
in der Wolkenhandgelenksstulpe steckten, konnten zwar durch Eisen schneiden,
als wäre es Matsch, aber sie waren spröde. Das scharfe Ende des Pfeils, den
Chang Geng abgeschossen hatte, war abgebrochen und steckte in der schweren
Rüstung des Barbarenkriegers. Dann war der Pfeil in der Hitze des kochenden
violetten Goldes geschmolzen. Alles, was übrigblieb, war ein blankes Stück
schwarzes Eisen ohne jegliche Schneide.
Chang Geng kratzte mit einem Eisennagel über die unebene
Oberfläche des zerbrochenen Pfeils und sagte abwesend: „Es ist ja nicht so,
dass die Kaiserin alle Söhne des Kaisers zur Welt bringt. Seine Majestät hat
viele Ehefrauen. Xiu-Niang war ein Mitglied der Barbarenstämme. Ich bin auch
kein kaiserlicher Prinz oder so etwas, aber diese Barbarenfrau hat versucht,
mich als solchen auszugeben.“
Der jüngste Sohn des Metzgers fühlte sich noch verlorener,
als er diese Erklärung hörte. Er starrte eine ganze Weile verwirrt vor sich hin
und wurde von Mitleid für seinen Dage übermannt. Sogar wilde Tiere hatten eine
Mutter und einen Vater; Chang Geng allein hatte keine Ahnung von seinem eigenen
familiären Hintergrund. Das Geheimnis seiner Eltern war wie ein gigantisches
Knäuel aus verknoteten Fäden — nach allem, was man wusste, konnten sie
göttliche Wesen sein.
„Du kannst beruhigt sein, Dage“, schwor Ge Pangxiao
feierlich, „egal, wer dein Vater ist — der Kaiser, ein Kompaniechef oder ein
einfacher Opernsänger — du wirst immer mein Dage sein!“
Zuerst zuckten die Mundwinkel von Chang Geng steif nach
oben. Aber schließlich schien er den Gedanken zu schätzen und schenkte ihm ein
vages, aber aufrichtiges Lächeln.
„Es wäre toll, wenn ich eines Tages auch dem Schwarzen
Eisenbataillon beitreten könnte“, sagte Ge Pangxiao.
Bevor Chang Geng antworten konnte, rief eine Stimme von
draußen: „Die Mitglieder des Schwarzen Eisenbataillons sind nicht wie
gewöhnliche Soldaten. Ihr tägliches Trainingsprogramm ist extrem anstrengend. Bist
du sicher, dass du diese Härte aushalten kannst?“
Die beiden Jugendlichen blickten auf und sahen Shen Yi
durch die Tür schreiten.
Shen Yi hatte die furchterregende schwarze Rüstung abgelegt
und verwandelte sich augenblicklich in den langatmigen und mittellosen
Gelehrten zurück, die lebende Verkörperung des Wortes ‚arm‘. Er kam herein und
trug zwei Boxen mit Essen, die er auf den Tisch stellte. „Ich habe euch ein
spätes Abendessen mitgebracht. Esst auf.“
Magistrat Guo legte großen Wert auf seine Gesundheit,
deshalb gab es bei ihm zum Abendessen meist eine Suppe oder andere leichte
Kost. Für Erwachsene war das in Ordnung — es machte kaum einen Unterschied, ob
sie ein paar Bissen mehr zu essen hatten oder nicht — aber wie sollte ein
halbwüchsiger Junge eine solche Entbehrung ertragen? Ge Pangxiao hatte drei Schalen
Hühnernudelsuppe geschlürft und fühlte sich immer noch, als hätte er seinen
Magen nur mit Wasser gefüllt. Sogar die bequeme Fettschicht auf seinem Körper
schien sich verflüchtigt zu haben. Beim Anblick der reichlich gefüllten
Brötchen, Dampfbrötchen und des Fleisches in der Essensbox leuchteten seine
Augen vor Heißhunger. Er stürzte sich mit einem freudigen Schrei nach vorne und
verdrängte jeden Gedanken an das Schwarze oder das Weiße Eisenbataillon aus
seinem Kopf.
Aber das kleine Schweinchen war sehr großzügig. Er mochte
die ganze Welt vergessen, aber seinen Dage würde er nie vergessen. Er hüpfte
herbei und reichte Chang Geng eifrig ein dickes Fleischbrötchen. „Dage, hier,
bitte sehr.“
Chang Geng sah sich nach Shen Yi um, erblickte aber nicht
die Person, die er unbedingt sehen wollte. Sein Appetit war sofort verflogen.
Er winkte Ge Pangxiao mit einer lustlosen Hand beiseite, verdrängte die
Enttäuschung in seinem Herzen und begrüßte ihn mit einer lustlosen Begrüßung. „General
Shen.“
„Ich wage es nicht, die Ehre dieses Titels zu beanspruchen.“
Shen Yi wusste mit einem einzigen Blick auf sein Gesicht genau, was der Junge
dachte, aber dennoch nahm er lässig an der Seite des Tisches Platz. „Wegen der
laufenden Säuberung der Grenzverteidigung steckt Marschall Gu bis über beide
Ohren in Arbeit und kann wirklich nicht weggehen“, erklärte er. „Er macht sich
jedoch große Sorgen um Eure Hoheit und hat mich beauftragt, nach Euch zu sehen.“
„Das beruht auf Gegenseitigkeit, denn ich wage es ebenfalls
nicht, eine solche Ehre anzunehmen.“ Chang Geng senkte gleichgültig den Kopf
und schwieg eine Weile. Dann sagte er kühl: „Shiliu... der Graf ist jeden Tag
so sehr mit den Staatsangelegenheiten beschäftigt, dass ich mich wundere, dass
er überhaupt Zeit hat, an uns zu denken.“
Shen Yi lächelte. „Wenn der Marschall wüsste, wie kalt Ihr
hinter seinem Rücken über ihn sprecht, wäre er sicher bestürzt. Leider gehört
er zu der Sorte Mensch, die ihre Gefühle nie direkt äußert, wenn er verärgert
ist, sondern sich stattdessen alle möglichen kreativen Wege ausdenkt, um mit
anderen zu streiten. Es ist wirklich nicht einfach, in solchen Zeiten sein
Untergebener zu sein.“
Chang Geng antwortete eine Weile nicht, seine
Aufmerksamkeit schien auf die zerbrochene Klinge in seinen Händen gerichtet zu
sein. Er wählte mit äußerster Sorgfalt eine Stelle auf dem Pfeil und begann,
mit dem Eisennagel langsam ein Loch in das Metall zu bohren. Der Jugendliche
verstand die Situation mit vollkommener Klarheit. Er glaubte nicht eine Sekunde
lang, dass Shen Yi ein gewöhnlicher Untergebener war. Welcher Untergebene würde
es wagen, dem Grafen von Anding zu befehlen, das Geschirr abzuwaschen und Reisbrei
zu kochen, selbst bei einer verdeckten Mission? Es sei denn, der Gott der
Langlebigkeit hatte sich erhängt und der betreffende Untergebene war lebensmüde
geworden.
Alle waren still. Die Atmosphäre wurde unerträglich
unangenehm.
Obwohl Shen Yi weiterhin lächelte, fluchte er innerlich.
Chang Gengs Verhalten richtete sich eindeutig gegen Gu Yun, doch dieser Bastard
steckte den Kopf in den Sand und schob Shen Yi als Sündenbock vor. Seit ich
mich mit diesem Bastard Gu eingelassen habe, dachte er bei sich, habe
ich immer nur Ärger bekommen.
Shen Yi stammte aus einer aristokratischen Familie.
Mütterlicherseits war er sogar entfernt mit dem alten Grafen verwandt. Damals,
als der verstorbene Graf noch lebte, brachte er Shen Yi in das Haus der Familie
Gu. Die Hälfte der heldenhaften Schandtaten, die Gu Yun in seiner Kindheit
beging, verdankte er Shen Yis verdienstvollem Einsatz. Erst später, als sowohl
der alte Graf als auch die Prinzessin starben, trennten sich die Wege der
beiden. Gu Yun erbte den Adelstitel seines Vaters und zog in den kaiserlichen
Palast ein, während Shen Yi durch die Beamtenprüfung zur Gelehrten-Ehre erlangte.
Nachdem er die Prüfungen mit Bravour bestanden hatte, weigerte er sich jedoch,
in die Hanlin-Akademie einzutreten. Stattdessen
beantragte er die Aufnahme in das Lingshu-Institut, was von seinem Umfeld als völliger Irrsinn
angesehen wurde.
Trotz seines Namens hatte das Lingshu-Institut
absolut nichts mit der Herstellung von Medikamenten oder der Diagnose von
Krankheiten zu tun. Anstatt menschliche Körper zu reparieren, bestand der
einzige Zweck des Instituts darin, Maschinen zu bauen und zu reparieren. Wie
die kaiserliche Garde stand es unter der direkten Aufsicht des Kaisers. Dieses
Institut war der größte Schmarotzer in den Kassen des Finanzministeriums und
der gütige Wohltäter der beiden Ministerien für Arbeit und Krieg.
Die acht großen militärischen Abteilungen der Armee von Groß-Liang
bestanden aus der Drachen-, Panzer-, Ross-, Fell-, Falken-, Streitwagen-,
Kanonen- und der Drachendivision. Die Pläne für die Ausrüstung der einzelnen
Divisionen, die Pläne für Verbesserungen und Aufrüstungen und sogar die
Geschäftsgeheimnisse des Schwarzen Eisenbataillons — all das kam vom Lingshu-Institut.
Die Mitglieder des Lingshu-Instituts scherzten oft
selbstironisch, sie seien ‘die persönlichen Kunsthandwerker Seiner Majestät‘.
Sie nahmen nur selten an wichtigen Angelegenheiten am kaiserlichen Hof teil und
waren nicht unter den hochrangigen Beamten zu finden. Die meiste Zeit zogen sie
es vor, sich im Lingshu-Institut zu verkriechen und an diesen eisernen Gesellen
zu basteln. Dennoch wagte es niemand, sie mit den gewöhnlichen Händlern
gleichzusetzen, die von einem ölgetränkten Leben zehrten.
Gu Yun hatte das Schwarze Eisenbataillon vor all den Jahren
nicht nur wegen der Dringlichkeit des Krieges und eines fadenscheinigen
Dekrets, das mit einer Handbewegung des Kaisers erlassen wurde, wieder ins
Leben rufen können. Ein großer Teil des Verdienstes lag bei seinem alten Freund
Shen Yi, der ihm half, die Räder im Lingshu-Institut zu schmieren. Im
entscheidenden Moment stellte sich das Lingshu-Institut hinter den jungen
General und unterstützte ihn nach Kräften. Dank ihrer Unterstützung konnte sich
die militärische Macht, die mehr als ein Jahrzehnt lang im Niedergang begriffen
war, wieder gegen die bissigen Zungen der literarischen Elite behaupten.
Nach der Wiederbelebung des Schwarzen Eisenbataillons
verließ Shen Yi das Lingshu-Institut und nahm Gu Yuns Einladung an, sein
persönlicher Rüstungsmechaniker zu werden.
Es versteht sich von selbst, dass Chang Geng mit seiner
geringen Welterfahrung keine Ahnung von diesen schmutzigen Vorgeschichten
hatte. Auch Shen Yi hatte nicht die Absicht, sie alle aufzuzählen. Er hob
lediglich den Kopf und sagte zu Ge Pangxiao: „Es gibt ein paar Dinge, die ich
Seiner Hoheit sagen muss. Kannst du bitte...“
Geistesgegenwärtig wie immer sagte Ge Pangxiao: „Aha, klar
doch, redet ihr nur. Ich bin nachdem vielen Essen sowieso müde, also sollte ich
ins Bett gehen.“
Er schnappte sich noch zwei Brötchen, schob sich ein
riesiges Stück Schweineschulter in den Mund, hüpfte von seinem Stuhl herunter
und huschte davon. Als alle unwichtigen Leute den Raum verlassen hatten, begann
Shen Yi langsam zu sprechen.
„Damals, als sich der Krieg in den westlichen Regionen zu
stabilisieren begann, erhielt Marschall Gu einen geheimen kaiserlichen Erlass
von Seiner Majestät dem Kaiser. Darin wurde er beauftragt, an die nördliche
Grenze zu reisen, um den vierten Prinzen aufzuspüren und zurückzuholen, der vor
vielen Jahren mit der jüngeren Schwester der Edlen Gemahlin verschwunden war.“
Chang Gengs Hände hielten in ihren Bewegungen inne, er sah
auf und blickte wortlos zu Shen Yi.
Shen Yi fuhr, ohne einen Ton zu verlieren, mit offenem und
aufrichtigem Blick, fort. „Als wir uns der Stadt Yanhui näherten, entdeckten
wir Anzeichen für Aktivitäten der Barbaren jenseits der Stadttore. Vielleicht
ist es Eurer Hoheit nicht bewusst, aber der Erbe des Wolfskönigs hat schon
immer Anzeichen von großem Ehrgeiz gezeigt. Zu diesem Zeitpunkt hegte er schon
lange Gedanken an einen Aufruhr. Da er befürchtete, dass der Nordgrenze ein
Unglück widerfahren würde, hielt Marschall Gu an, um nachzuforschen.
„Zu seiner Überraschung traf er Eure Hoheit umgeben von
einem Rudel Wölfe an. Marschall Gu verbrachte einen Großteil seiner Kindheit an
der Seite der ältesten Prinzessin und hatte einst das Vergnügen, die Edle
Gemahlin kennenzulernen. In dem Moment, in dem er Eure Hoheit sah, kamt Ihr ihm
bekannt vor. Erst als wir Euch nach Hause brachten und Xiu-Niang trafen,
konnten wir uns vergewissern, dass Ihr tatsächlich der vierte Prinz seid, den
wir suchten.
„Marschall Gu war noch ein Kind, als sie sich vor vierzehn
Jahren trafen, und Xiu-Niang hatte längst vergessen, wie er aussah.
Ursprünglich hatten wir vor, ihr unsere Identität zu verraten und Euch in die
Hauptstadt zurückzubringen. Doch zu unserer Überraschung mussten wir
feststellen, dass Xiu-Niang heimlich Informationen an die Barbaren
weitergegeben hatte.
„Um den Feind nicht zu alarmieren, verlegte Marschall Gu
heimlich einen Teil der in den westlichen Regionen stationierten Truppen an die
Nordgrenze. Er plante, die Barbaren in eine Falle zu locken und ihnen eine
Kostprobe ihrer eigenen Medizin zu geben. Jetzt sind die Elitetruppen der
achtzehn Stämme ausgelöscht, ihr Kronprinz wurde gefangen genommen, und ihre
finanziellen Mittel und Arbeitskräfte sind durch ihre eigene Hand stark
dezimiert worden. Dies wird der Nordgrenze von Groß-Liang zumindest fünf Jahre
Frieden garantieren.
„Ich hoffe, dass Eure Hoheit um der Zehntausenden von
Menschen willen, die an der Grenze leben, Euren bescheidenen Dienern unsere
Täuschung nicht übel nimmt.“
Als Shen Yi geendet hatte, dachte Chang Geng einen Moment
lang nach und nickte dann sehr einsichtig. „Mm.“
Shen Yi atmete erleichtert auf und lächelte dann. „Als sich
der Tianlang-Stamm der nördlichen Barbaren Groß-Liang ergab, schenkten sie
Seiner Majestät zwei große Schätze aus ihrem Grasland. Der eine war violettes
Gold, und der andere war die Göttin des Tianlang-Stammes. Diese Göttin war für
ihr Volk außerordentlich wertvoll. Als Dank für die Aufrichtigkeit der
Mitglieder des Tianlang-Stammes verlieh Seine Majestät ihr den Titel einer Edlen
Gemahlin. Sie war die einzige Edle Gemahlin in der Geschichte von Groß-Liang.
„Ich habe Euch bereits erzählt, was Ihr neulich passiert
ist. Wenn die Edle Gemahlin, von dort, wo sie unter den Neun Quellen liegt, sehen
könnte, wie sehr Eure Hoheit gewachsen ist, wäre sie sicher sehr stolz.“
Chang Geng grinste vor sich hin. Wenn das alles wahr war,
war dann nicht Xiu Niang Huge'er seine Tante? Wenn es der Schwester seiner
Mutter so sehr an moralischer Integrität mangelte, wie viel besser konnte dann
seine Mutter sein?
„Nach gesundem Menschenverstand“, sagte Chang Geng, „ist es
wahrscheinlicher, dass diese 'Edle Gemahlin' alles in ihrer Macht Stehende tat,
um zu entkommen, als sie erfuhr, dass sie mit der abscheulichen Brut ihres
Eroberers schwanger war. Vielleicht hatte sie sogar versucht, eine Abtreibung
vorzunehmen, um das Kind loszuwerden?“
Shen Yi verstummte. Die geheimen Angelegenheiten des
kaiserlichen Harems waren für eine ausführliche Diskussion ungeeignet, aber die
Vermutung dieses kleinen Balgs war erstaunlich zutreffend.
Schließlich war Shen Yi ein schlauer Huli Jing, der seit seiner Kindheit mit
einflussreichen Adligen und Beamten verkehrte. Was auch immer er dachte, er
ließ es sich nicht anmerken. Stattdessen nahm er einen überzeugenden Ausdruck
von gedämpfter Besorgnis an. „Eure Hoheit, was sagt Ihr da? Wenn es um Fräulein
Xiu geht, dann gibt es keinen Grund, zu viel nachzudenken. Schließlich war
Fräulein Xiu eine Fremde. Die Loyalität, die sie gegenüber ihrem Stamm empfand,
ist verständlich. Außerdem war sie nicht diejenige, die Eure Hoheit zur Welt
gebracht hat. Auch wenn ihr Herz voller Groll war, so hat sie doch keine Mühen
gescheut, Eure Hoheit heranwachsen zu lassen, und alles getan, um Eurer Hoheit
die Hälfte des Mandarinenten-Jadeanhängers zurück in die Hauptstadt zu
schicken. Ich bin sicher, dass sie schon lange bereit war, für ihr Land zu
sterben. Ist das nicht ein klarer Beweis dafür, dass sie sich aufgrund Eures
gemeinsamen Blutes um Euch sorgte? Wenn Eure Tante sich so um Euch sorgte, wie
könnte Eure Mutter Euch dann nicht geliebt haben?
Shen Yi hielt inne und fügte dann kunstvoll hinzu: „Eure
Hoheit und die Edle Gemahlin scheinen aus dem gleichen Holz geschnitzt zu sein.
Doch Euer Temperament und Euer Charakter ähneln dem Seiner Majestät. Blut kann
nicht lügen. Was den Vorfall angeht, bei dem Fräulein Xiu Eurer Hoheit den Zeh
gebrochen hat, so gibt es sicher eine andere Erklärung für ihr Handeln. Es ist
auch möglich, dass Eure Hoheit sich in Anbetracht Eures jungen Alters einfach
falsch erinnert hat.“
Shen-Xianshengs Worte waren einleuchtend, sein Vortrag
unübertroffen eloquent. Wenn Chang Geng nicht schon wusste, dass ihm ein
langsam wirkendes Gift verabreicht worden war, das ihn schließlich in den
Wahnsinn treiben sollte, wäre er wahrscheinlich auf die Geschichte
hereingefallen, die er erzählte. Vielleicht hätte er sogar geglaubt, dass Xiu-Niang
sich wirklich sehr um ihn gekümmert hatte.
Aber jetzt traute der Junge der ‘Wahrheit‘, die aus dem
Mund eines anderen so leicht heraussprudelte, nicht mehr. In seinem Herzen
befanden sich eine Handvoll Spekulationen und zwei Scheffel Zweifel. Er konnte
nicht anders, als jedes Wort, das zu ihm gesprochen wurde, auseinanderzunehmen
und zu analysieren, und wenn er auch nur eine Sache genau unter die Lupe nahm,
wurde er von Zweifeln geplagt.
Chang Geng fühlte sich plötzlich todsterbensmüde.
Nachdem genug Zeit verstrichen war, um eine Stange
Räucherstäbchen abzubrennen, führte Chang Geng Shen Yi, dessen Lächeln sich zu
versteifen begann, höflich aus seiner vorübergehenden Residenz.
„Ich war in der Vergangenheit unwissend und unerfahren“,
sagte Chang Geng, während er Shen Yi zur Tür begleitete. „In dem Glauben, dass Graf
Gu behindert ist, habe ich ihn oft mit meinen langatmigen Nörgeleien belästigt.
Ich hoffe aufrichtig, dass der Graf mir meine Indiskretion verzeihen wird.“
Shen Yi blickte zu Boden, aber er konnte nur die Haarlocke
von Chang Geng auf seinem Scheitel sehen. Der Junge weigerte sich, ihm in die
Augen zu sehen. Er seufzte und verabschiedete sich schweren Herzens von Chang
Gengs kleinem Innenhof. Als er aus dem
Tor trat und in einen schmalen Fußweg einbog, erblickte er in einem kleinen
Garten den legendären Gu Yun, der ‘bis über beide Ohren in militärischen
Angelegenheiten steckte‘.
In den Gärten von Magistrat Guo wuchs eine Fülle von
Minzpflanzen. Gu Yun saß allein in einem kleinen Pavillon und pflückte
geistesabwesend Blätter von der Minze. Er hielt jedes Blatt eine Weile im Mund,
kaute es dann und schluckte es hinunter. Wie lange er dort schon saß, konnte
niemand sagen, aber die Minzpflanze neben ihm war fast kahl gepflückt und sah
aus wie ein Strauch, der von einer Bergziege verwüstet worden war.
Shen Yi hustete leise, aber Gu Yun schien ihn nicht zu
hören. Erst als Shen Yi näherkam, blinzelte Gu Yun und erkannte ihn mit einiger
Mühe.
„Hat das Medikament nachgelassen?“, fragte Shen Yi mit
einem Seufzer.
Gu Yuns Gesichtsausdruck wurde verwirrt. Instinktiv legte
er den Kopf schief und machte eine Geste, als ob er Mühe hätte, zu hören. Shen
Yi ging auf ihn zu und lehnte sich an sein Ohr. „Lass uns zuerst zurückgehen.
Ich erkläre dir alles danach — gib mir deine Hand. Dort drüben gibt es eine
Steintreppe.“
Gu Yun lehnte Shen Yis Arm mit einem Kopfschütteln ab und
griff in sein Revers nach einem Glasmonokel, das er sich auf den Nasenrücken
setzte. Ohne ein weiteres Wort machte er sich vorsichtig auf den Weg aus dem
Pavillon. Die Schönheitsflecken in seinem Augenwinkel und an seinem Ohrläppchen
schienen stumpfer geworden zu sein.
Shen Yi warf einen Blick auf den Minzstrauch, der von Gu,
der Bergziege, kahl genagt worden war, bevor er ihm folgte.
Erklärungen:
Die Hanlin-Akademie ist eine
Gelehrten Eliteeinrichtung, die für den kaiserlichen Hof Sekretariats- und
Literaturaufgaben wahrnahm und den Kaiser beriet. Die Aufnahme in die Akademie
galt als prestigeträchtige Ehre und wurde nur herausragenden Kandidaten der Beamtenprüfung
gewährt.
Das Lingshu, auch als
spiritueller Drehpunkt bekannt, ist ein alter chinesischer medizinischer Text,
der während der westlichen Zhou-Dynastie geschrieben wurde.
Huli Jing sind mythologische Fuchsgeister, die ihre Gestalt verändern können. Sie können durch Kultivierung menschliche Gestalt annehmen und werden oft als schlaue Gauner dargestellt.
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da versucht er im zu erklären aber selber füllt er sich auch nicht sicher und er merkt das sie seine gunst ein wenig vertan haben. so hört es sich plausiebel an aber leider hat der junge auch seine zweifel und das mach ja jetzt alles schwerer. als er ging und zu gun kam der da sahs und blätter graste. das ist komisch eine sitzende berziege hab ich auch noch nie gesehen, kann es sein das die bergziege gun heimlich zugehört hat . freu mich wenns weiter geht.
AntwortenLöschenJa, Shen Yi versucht die Wogen etwas für Gu Yun zu glätten, doch es wirkt nicht so ganz. Die Wogen glätten und die innere Unruhen von Chang Geng zu lindern kann wohl nur Gu Yun bewerkstelligen.
LöschenIch glaube nicht das die Bergziege zu gehört hat, da Chang Geng in seinem Zimmer war und die Bergzeige im Garten, da ist schon eine kleine Distanz die man selbst mit einem normalen Hörvermögen das Gespräch nicht hätte vernehmen können.