Kapitel 17 ~Tod eines Kaisers; Akt 2; Die Hauptstadt

Im Laufe des endlosen Marsches zurück in die Hauptstadt beruhigten sich der Schrecken und die Verwirrung in Chang Gengs Herz allmählich, als er inmitten dieses Gewirrs von Rüstungen ritt. Er fühlte sich wie ein Setzling, der seitlich aus seinem Topf gefallen war — er konnte sich immer noch aufrichten und wachsen, solange er ein wenig Sonnenlicht bekam.

Das Gefolge erreichte die Hauptstadt innerhalb eines Wimpernschlags.

Als sich die höchsten Tore des Kaiserlichen Palastes öffneten, landeten sogar die hoch über ihnen kreisenden Schwarzen Falken, um sich in Ehrerbietung niederzuwerfen. Gu Yun fasste Chang Geng an den Hinterkopf und sagte: „Denk nicht zu viel nach. Lass uns deinen kaiserlichen Vater begrüßen.“

Benommen ließ sich Chang Geng schieben und ins Innere führen. Als er schließlich am Krankenbett ankam, fiel es ihm einen Moment lang sehr schwer, das Bild dieses vertrockneten alten Mannes mit seiner Vorstellung vom Kaiser in Einklang zu bringen. Er sah alt und schwach aus, sein Haar und sein Bart waren so struppig, dass sie wie Kugeln aus vertrocknetem Silberfaden aussahen. Seine schrumpeligen Wangen waren blass und fahl, und seine dünnen Lippen bebten leicht, als er sich abmühte, zu Gu Yun aufzublicken.

Gu Yuns Schritte hielten unmerklich inne. Chang Gengs scharfe Ohren hörten, wie er einen leisen Atemzug machte, doch als er sich umdrehte, war Gu Yuns Gesicht so teilnahmslos wie immer.

„Eure Majestät, Euer bescheidener Diener hat seine Mission erfolgreich abgeschlossen“, sagte Gu Yun. „Ich habe den vierten Prinzen gefunden und in die Hauptstadt zurückgebracht.“

Chang Geng zuckte leicht überrascht zusammen, als der Yuanhe-Kaiser seinen trägen Blick auf ihn richtete. Er wäre am liebsten zurückgeschreckt. Es fühlte sich an, als ob die Augen des Mannes, der auf dem kaiserlichen Drachenbett lag, einen langen Haken enthielten, der in Chang Geng hineinreichen und die Vergangenheit herausziehen konnte — als ob er nicht ihn selbst, sondern jemand anderen durch ihn sehen würde. Gu Yun gab ihm einen kurzen Schubs von hinten, sodass er keine andere Wahl hatte, als ein paar Schritte vorwärtszugehen.

„Knie dich hin“, murmelte Gu Yun in sein Ohr.

Als Chang Geng sich höflich hinkniete, sah er zu seiner Überraschung, wie zwei Linien von Tränen wie zwei Flüsse aus den ausgetrockneten, trüben Augen des Yuanhe-Kaisers hinunterliefen. Sie glitten an den Falten entlang, die sein Gesicht säumten, wie Eiter, der aus seinen Augenhöhlen quoll.

„Geh und begrüße deinen Vater“, drängte Gu Yun.

Chang Geng konnte es nicht tun. Während ihrer Reise in die Hauptstadt warf jeder, der ihm begegnete, einen Blick auf ihn. Er ertrank in einem Meer von Blicken, aber er konnte immer noch nicht erkennen, wie sehr er dem Mann auf dem Drachenbett ähnelte. Er hörte, wie Gu Yun ihm leise ins Ohr flüsterte: „Auch wenn du es nicht glaubst, grüße ihn nur dieses eine Mal.“

Chang Geng drehte sich um und begegnete dem Blick seines jungen Paten. Seine Augen waren so klar, dass sie kalt wirkten, und sie waren völlig trocken — er machte sich nicht einmal die Mühe, Tränen vorzutäuschen. Sie schienen gleichzeitig schön und herzlos zu sein. Der herzlose Mann seufzte und sagte leise: „Bitte.“

So sehr sich Chang Geng auch wehren wollte und so unannehmbar er seine gegenwärtige Situation auch fand, er gab nach, als er diese Worte hörte. Selbst wenn ich ein Betrüger bin, dachte er, kann ich das als ein wenig Trost für ihn betrachten.

Der Junge senkte den Blick und stieß ein oberflächliches und etwas unaufrichtiges: „Vater“, aus.

Die Augen des Yuanhe-Kaisers leuchteten sofort auf. Es war, als hätte er den letzten Rest seiner Lebenskraft in einem hellen Lichtball gebündelt, der wie ein brillantes Feuerwerk über dem Himmel explodierte. Er starrte Chang Gengs Gesicht lange Zeit gierig an, untersuchte seine Gesichtszüge eingehend und sagte dann mit einer Stimme, die so schwach wie ein Faden war: „Wir ... Wir geben Euch den Namen Min. Unser Sohn, möget Ihr hell und klar leuchten wie der majestätische Himmel und ein langes und friedliches Leben frei von Sorgen führen ... Habt Ihr einen Milchnamen?“

„Ja“, sagte er, „mein Name ist Chang Geng.“

Der Mund des Yuanhe-Kaisers zuckte leicht, und sein Atem rasselte in seiner Kehle, als seine Stimme ihn kurzzeitig versagte. Gu Yun trat vor und half dem alten Kaiser, sich aufzusetzen. Er klopfte seinem Herrscher leicht auf den Rücken, bis dieser einen Mundvoll Schleim aushustete. Die Augen des Yuanhe-Kaisers rollten in seinem Schädel zurück, als er sich an seiner Spucke verschluckte, sein Körper zitterte und er rang nach Atem. Mit einem schmerzhaften Stöhnen sackte er zurück auf das Bett. Er ergriff Gu Yuns Hand mit seiner abgemagerten Hühnerklaue.

„Ich bin hier, Eure Majestät“, sagte Gu Yun.

Der Yuanhe-Kaiser sagte mit einer Stimme wie ein gebrochener Blasebalg: „Seine ... älteren Brüder sind alle erwachsen. Unser kleiner Chang Geng ... Wir fürchten ... er ist der Einzige, bei dem wir nicht zusehen können, wie er erwachsen wird...”

Gu Yun schien etwas zu ahnen. Er begegnete den gealterten, tränenüberströmten Augen des Kaisers mit seinem eigenen jungen Blick, der nicht von Emotionen bewegt war. Sie tauschten nur einen kurzen Blick aus, schienen aber sofort zu einem stillschweigenden und gegenseitigen Verständnis zu gelangen.

„Ich verstehe“, sagte Gu Yun.

„Wir vertrauen dir dieses Kind an, Zixi. Es gibt niemanden, dem wir vertrauen können, außer Euch. Ihr müsst uns helfen, auf ihn aufzupassen ...“ Die Stimme des Yuanhe-Kaisers verstummte, als er sprach. „Wir müssen ihm auch einen Adelstitel verleihen ... Wo habt Ihr ihn gefunden?“

„In der Stadt Yanhui an der Nordgrenze“, sagte Gu Yun.

 

„Yanhui ...“ Der Yuanhe-Kaiser wiederholte leise. „Wir sind noch nie dort gewesen. Es muss sehr weit weg sein. In diesem Fall ... erlassen wir einen kaiserlichen Erlass, der dem vierten Prinzen, Li Min, den Titel des Prinzen Yanbei verleiht. Allerdings ... hust hust ...... wird die Verleihungszeremonie nicht sofort stattfinden. Sie wird warten müssen, bis er die Volljährigkeit erreicht hat ...“

Gu Yun hörte schweigend zu. In Groß-Liang war es üblich, den Prinzen des ersten Ranges einsilbige Titel zu verleihen. Dem zweiten Prinzen wurde beispielsweise der Titel Prinz Wei verliehen. Zweisilbige Titel wurden dagegen den zweitrangigen Prinzen von Komtureien verliehen. Solche Titel waren in der Regel den entfernteren Mitgliedern der kaiserlichen Familie vorbehalten und wiesen auf einen etwas niedrigeren Status hin.

„Wir wollen ihm kein Unrecht tun“, sagte der Yuanhe-Kaiser, „aber es gibt keine andere Möglichkeit, ihn zu schützen. Wir wollen keinen Streit zwischen seinen älteren Brüdern säen ... Zixi, Ihr versteht doch, warum wir darauf bestehen, dass er seinen Titel erst erhält, wenn er volljährig ist, oder?“

Gu Yun schwieg einen Moment, dann nickte er. Chang Geng, der den Rätseln, in denen sie sprachen, nicht folgen konnte, spürte, wie sein Herz in seiner Brust heftig zu hämmern begann, während sich ein unerklärliches Gefühl der Vorahnung über ihn legte.

„Wir beabsichtigen“, fuhr der Yuanhe-Kaiser fort, „ein kaiserliches Dekret zu erlassen, damit Ihr Chang Geng vorläufig adoptiert ... Normalerweise wird das nicht so gehandhabt, aber wir haben sonst niemanden, dem wir das anvertrauen können, und so bleibt uns nichts anderes übrig, als die von unseren Vorfahren eingeführte zeremonielle Etikette zu verletzen ... Wir wollen, dass er ... sich für einige Jahre auf Euch verlassen kann, ohne dass ihm irgendein Rang oder Titel anhaftet. Zixi, Ihr müsst Euch gut um ihn kümmern. Verachtet Ihn nicht, auch wenn Ihr in Zukunft eigene Kinder habt. Er ist schon über zehn Jahre alt, also wird er Euch sowieso nicht mehr lange stören. Sobald er volljährig ist, könnt Ihr ihn losschicken, um seinen eigenen Nachlass zu verwalten. Wenn es so weit ist, befolgt alle üblichen Verfahren, wie es sich für einen Komturprinzen gehört ... Wir haben bereits einen Ort ausgewählt ...“

An dieser Stelle verschluckte sich der Yuanhe-Kaiser an einem Atemzug und begann heftig zu husten. Gu Yun streckte die Hand aus, um ihm zu helfen, aber der alte Kaiser winkte ihn ab.

Je länger der alte Kaiser Chang Geng ansah und seine fahle Gesichtsfarbe betrachtete, desto untröstlicher wurde er. Warum konnte ein so gutes Kind nicht an seiner Seite bleiben? Warum hatte er, als er den Jungen nach all den Jahren endlich gefunden und zurückgebracht hatte, nur noch so wenig Zeit mit ihm verbringen können?

Der Blick des Yuanhe-Kaisers wandte sich panisch von Chang Geng ab, als wäre er ein feiger kleiner Junge im Körper eines alten Mannes. Er wandte sich an Gu Yun und sagte: „Ihr müsst nach einer so langen Reise müde sein. Lasst das Kind sich ausruhen. Wir haben noch ein paar Worte an Euch zu richten.“

Gu Yun führte Chang Geng zur Tür hinaus und übergab ihn an einen kaiserlichen Diener. Bevor er sich von ihm verabschiedete, sagte er leise in Chang Gengs Ohr: „Geh und ruhe dich aus. Ich werde dich später abholen.“

Chang Geng folgte dem kaiserlichen Diener schweigend. Er schien seine Gefühle nicht in Worte fassen zu können.

Diesmal war er offiziell Gu Yuns Mündel geworden. Das hätte ein Grund zum Feiern sein sollen, aber irgendwie fühlte er sich überhaupt nicht glücklich. Aber der Kaiser hatte gesprochen, also gab es für ihn keinen Raum, sich zu weigern, zu protestieren oder auch nur ein Wort dagegen zu sagen.

Trotz seiner Bedenken folgte Chang Geng dem gesenkten Kopf und dem kleinen, schlurfenden Gang des kaiserlichen Dieners, weg von diesem Palast, der nach Medizin und Tod roch. Nachdem er ein paar Schritte gegangen war, konnte er nicht umhin, über die Schulter Gu Yun zu sehen, der sich zum Zimmer des Kaisers umdrehte. Der junge Graf von Anding hatte ein Profil wie aus einem Gemälde, und mit den schweren, locker sitzenden Hofroben, die seinen Körper umhüllten, wirkte er auf unerklärliche Weise noch zurückhaltender. Als er ihn so sah, stieg ein Hauch von Bitterkeit in Chang Gengs Herz auf.

Woran denkst du? fragte sich Chang Geng mit einem zynischen Lächeln. Vor ein paar Tagen warst du noch der Sohn eines Kompaniechefs einer Grenzstadt mit einer misshandelnden Mutter, die dich mit Gift fütterte. Jetzt bist du das Mündel des Grafen von Anding selbst geworden. Das ist besser als alles, was du dir je hättest träumen lassen.

Angesichts dieser monumentalen Ereignisse war Chang Geng völlig hilflos. Der dreizehnjährige Junge machte sich über sich selbst lustig, als er den langen, schwach beleuchteten Korridor des kaiserlichen Palastes hinunterging. Es waren insgesamt einundachtzig Schritte — er würde sie nie vergessen, solange er lebte.

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Die Schlafzimmertür schloss sich leise hinter Gu Yun. Der Weihrauchbrenner am Kopfende des Bettes verströmte schwache, blasse Rauchschwaden.

Als Gu Yun am Kopfende des Bettes kniete, sprach der Yuanhe-Kaiser. „Wir erinnern uns, als Ihr jünger wart, habt Ihr Euch mit A-Yan am besten verstanden. Ihr wart gleichaltrig, und wenn ihr nebeneinanderstandet, saht ihr aus wie ein Paar Jadepuppen.“

Bei der Erwähnung des dritten Prinzen, der zu früh verstorben war, veränderte sich Gu Yuns Gesichtsausdruck endlich. „Ich war als Kind furchtbar ungezogen und nicht annähernd so klug und vernünftig wie Seine Hoheit.“

„Ihr wart nicht unartig.“ Der Yuanhe-Kaiser hielt inne, dann wiederholte er: „Ihr wart nicht unartig ... Wenn A-Yan nur ein wenig mehr, wie Ihr gewesen wäre, wäre er vielleicht nicht so jung gestorben. So wie Drachen Drachen und Phönixe Phönixe zeugen, wächst aus einer bestimmten Art von Samen ein bestimmter Baum. Das Blut, das durch Eure Adern fließt, Zixi, ist das eiserne Blut des verstorbenen Kaisers ...“

„Eure Majestät“, sagte Gu Yun hastig, „ich wage es nicht, solche Worte zu akzeptieren.“

Der Yuanhe-Kaiser winkte mit der Hand. „Es sind keine Außenstehenden hier, also werden wir offen sprechen. Zixi, Ihr wurdet geboren, um neue Wege zu gehen und die Nation zu erweitern. Selbst ein Rudel Wölfe würde bei Eurem Anblick vor Angst in die Knie gehen und den Kopf einziehen, um sich zu unterwerfen. Aber ich fürchte, Eure Taten haben Euch mit bösartiger Energie belastet, und in Zukunft werdet Ihr Euch vor Eurem Karma verantworten müssen.“

Es wurde allgemein angenommen, dass die mörderischen Verbrechen von Gu Yuns Großvater mütterlicherseits — dem ehemaligen Kaiser Wu — für den elenden Zustand seiner späteren Jahre verantwortlich waren, in denen er seine Kinder eines nach dem anderen sterben sah.

„Ich weiß, dass Prinz Wei ehrgeizig ist, aber wenn Ihr über den Kronprinzen wacht, wird er keine Probleme haben, die Macht zu behalten. Ihr seid es, um den ich mir Sorgen mache ... Bitte hört auf uns, wenn wir sagen, dass es genauso schlimm ist, zu viel zu tun, wie zu wenig zu tun. Vergesst nicht, Euer Glück zu schätzen und zu wissen, wann es angebracht ist, voranzuschreiten, und wann man sich zurückziehen sollte ... In gewisser Weise hat der alte Abt des Nationalen Tempels auch Euch aufwachsen sehen. Die Lehren des Buddha sind grenzenlos — wenn Ihr Zeit habt, solltet Ihr ihm einen Besuch abstatten.“

Der alte kahlköpfige Esel des Tempels des Nationalen Schutzes hatte einen Krähenschnabel als Mund und spuckte ständig unheilvolle Bemerkungen aus. Er verkündete einmal, dass Gu Yuns Geburtshoroskop unter dem starken Einfluss gefallener Sterne stehe, und warnte davor, dass sein Schicksal sich fatal gegen seine engsten Verwandten richte. Seitdem weigerte sich Gu Yun, auch nur einen Schritt in den Nationalen Tempel zu tun. Als der Kaiser den Abt erwähnte, dachte Gu Yun: Stimmt, ich habe diesen alten, kahlen Esel vergessen. Wenn ich eines Tages die Gelegenheit habe, werde ich mit ihm abrechnen und diesen verrotteten Schwindel von einem Tempel niederbrennen.

Seine Feindseligkeit war nicht nur aus Kleinlichkeit geboren. Nachdem Tod des ehemaligen Grafen hatte der Kaiser das gleiche Argument benutzt, dass ‘die Sünden des Krieges zu Unglück führen‘, um das Schwarze Eisenbataillon zu schwächen. In den letzten Jahren überquerten Fremde jedoch häufig die Ozeane in großen Schiffen, die als Drachen bekannt waren, und reisten nach Groß-Liang. Die nördliche Grenze, die westlichen Regionen, sogar weit über das östliche Meer hinaus — gierige Augen starrten aus allen Richtungen begehrlich auf das Göttliche Land.

Mörderische Verbrechen würden zu Unglück führen, aber der Zusammenbruch der Nation, eine fremde Besatzung, die Vertreibung des einfachen Volkes und über Tausende von Kilometern verstreute Leichen — das wurde als Wertschätzung von Frieden und Harmonie angesehen, als Zeichen dafür, dass alles in der Welt in Ordnung war? Wenn Marschall Gu vom Schwarzen Eisenbataillon so sentimental war wie sein entfernter Cousin auf dem Thron, auf wen sollten dann die unwissenden, einfachen Leute dieser Nation zählen, um ihre Heimat zu schützen?

Würden sie die Hanlin-Akademiker des kaiserlichen Hofes schicken, um ihre Feinde mit ihren gelehrten Tugenden für sich zu gewinnen?

Um ehrlich zu sein, wollte Gu Yun nicht nur Krieg gegen seine Feinde führen, sondern sie ein für alle Mal besiegen. Idealerweise würde er zuerst die westlichen Regionen platt machen, bevor er den Kampf bis vor die Haustür der Menschen aus dem fernen Westen bringen würde, die immer nach den Zentralebenen gieren. Er würde ihnen einen solchen Schrecken einjagen, dass sie nie wieder ihre begehrlichen Augen auf das geliebte Mutterland eines anderen richten würden.

Damals, als er ausgesandt worden war, um die westlichen Regionen zu befrieden, hatte Gu Yun ein Memorandum vorgelegt, in dem er diese Forderungen darlegte. Doch der Kaiser hielt ihn für verrückt und lehnte seinen Vorschlag rundweg ab. Und als ob das nicht schon genug wäre, schickte er Gu Yun auch noch mit der Aufforderung, den vierten Prinzen zu finden und zurückzubringen, an die Nordgrenze.

... Und nun hatte ihm das kleine Balg geholfen, einen Barbarenkronprinzen an sich zu reißen.

Manche Menschen wurden unter den Sternen des Gemetzels geboren. Wenn sie nicht zu großen Generälen wurden, die für die Erweiterung des Territoriums ihres Landes kämpften, dann war es sicher, dass sie Unheil über die Nation und ihr Volk bringen würden.

Der mitfühlende Kaiser, der mit einem Bein im Grab stand, und der leidenschaftslose General in der Blüte seines Lebens, der eine krank, der andere hoch aufgerichtet, führten auf dem schmalen Platz am Kopfende des kaiserlichen Drachenbettes ein letztes Gespräch von Herz zu Herz. Am Ende konnte keiner von beiden über den anderen siegen.

Der Yuanhe-Kaiser blickte in die kalten Augen Gu Yuns und fühlte eine plötzliche Welle der Traurigkeit. Wenn er vor all den Jahren nicht nach der kaiserlichen Macht gestrebt hätte, so dachte der alte Kaiser, wäre er jetzt nichts weiter als ein fauler Prinz, der seine Tage mit Hahnenkämpfen und Hunderennen verbringt? Er hätte seine Schicksalsfrau nie kennengelernt und hätte stattdessen vielleicht einer anderen seine innigste Zuneigung versprochen. Er hätte ein Leben in edlem Luxus geführt und wäre niemals für so viele Jahre von seiner Familie getrennt worden.

Vielleicht hatten nur kaltherzige und entschlossene Menschen wie der Graf der Ordnung das Recht, auf einem kaiserlichen Thron zu sitzen, der auf verdorrten Knochen gebaut und mit Dornen bedeckt war.

„Zixi ... Oh Zixi ...“, murmelte der Yuanhe-Kaiser.

Gu Yuns Gesicht, das aus Eisen gegossen zu sein schien, zeigte endlich einen Anflug von Rührung. Er senkte seine Wimpern leicht und entspannte seine straffen Schultern, seine Haltung war nicht mehr so gleichgültig und kerzengerade.

„Werdet Ihr einen Groll gegen uns hegen?“, fragte der Yuanhe-Kaiser.

„Das würde ich nicht wagen“, sagte Gu Yun.

„Werdet Ihr uns dann vermissen, wenn wir nicht mehr da sind?“, drängte der Yuanhe-Kaiser.

Gu Yun schloss seinen Mund.

Der alte Kaiser starrte ihn unerbittlich an. „Warum antwortet Ihr nicht?“

Nach einem Moment des Schweigens sagte Gu Yun schlicht und ohne viel Kummer: „Wenn Eure Majestät gestorben ist, werde ich keine Familie mehr auf der Welt haben.“

Der Yuanhe-Kaiser hatte das Gefühl, als ob eine Hand seine Brust drückte. In seinem ganzen Leben hatte er diesen kleinen Bastard noch nie ein freundliches Wort sagen hören. Jetzt, mit dieser Äußerung, löschte er mit einem einzigen Pinselstrich all die unausgesprochenen Schulden der Dankbarkeit, des Grolls, der Liebe und des Hasses zwischen ihnen aus. Nur einsame und verblasste Bindungen blieben zurück, um die kurze Zeit zu füllen, die ihnen noch blieb.

In diesem Moment ergriff ein kaiserlicher Diener, der an der Tür stand, zögernd das Wort. „Eure Majestät, es ist Zeit für Eure Medizin.“

Gu Yun kam wieder zu sich und verwandelte sich mit einem Heben des Kopfes wieder in die arrogante tödliche Waffe in Menschengestalt. „Bitte passt auf Euch auf, Eure Majestät. Wenn Ihr mich jetzt bitte entschuldigen würdet, werde ich mich verabschieden.“

Doch in diesem Moment rief der Yuanhe-Kaiser seinen Milchnamen. „Xiao-Shiliu!“

Gu Yun erstarrte.

Der Yuanhe-Kaiser griff mühsam unter sein Kopfkissen und zog eine antiquierte Kette buddhistischer Holzgebetsperlen hervor. „Komm, gib uns deine Hand.“

Gu Yun sah zu, wie der alte Mann nach Luft schnappend diese billig aussehenden Gebetsperlen auf sein Handgelenk schob. Er fühlte sich ein wenig unschlüssig.

„Dein älterer Cousin ... wacht über dich“, die Stimme des Yuanhe-Kaisers war kaum zu hören, als er ihm auf den Handrücken klopfte.

Eine Welle intensiver Trauer wallte in Gu Yuns Herz auf. Er konnte seine Miene nicht mehr beherrschen und entschuldigte sich hastig.

Der Kaiser verstarb drei Tage später.

Wie in früheren Zeiten verabschiedeten sich alle zivilen und militärischen Beamten sowie das einfache Volk von einer anderen Ära.

 

 

 

Erklärungen:

Komturprinz, 郡王. Ein Adelstitel, der sowohl Mitgliedern der königlichen Familie als auch vertrauenswürdigen Beamten verliehen werden konnte. Sie herrschten über Komtureien, die eine Art Verwaltungsregion ähnlich den Landkreisen waren.




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2 Kommentare:

  1. jetzt ist er also beim könig angekommen der sich auch gefreut hat. nur jetzt hat cheng wieder ein problem jetzt soll er wirklich von gu sein mündel werden was in ein wenig fertig macht. so wie es schein muss er vielleicht auch vor seinen brüdern in acht nehmen. freu mich wenns weiter geht.

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    1. Naja, Chang Geng ist immerhin auch berechtigt den Thron zu erben, dass allein reicht schon für eine Gefahr aus. Rechnet man noch hinzu, dass er zur Hälfte von den Barbaren abstammt und nicht im Palast sondern bei einer Barbarenfrau aufgewachsen ist, verschlimmert es eher seinen Stand bei seinen Brüdern.

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