Gu Yun hatte Probleme mit seinen Lenden- und Halswirbeln. Chang Geng brauchte keine sorgfältige Untersuchung durchzuführen ‒ nachdem Gu Yun seine Rüstung und Kleidung abgelegt hatte, konnte er es allein durch Berührung feststellen.
Er verdrängte seine fantasievollen Gedanken und runzelte die
Stirn. „Zixi, wie lange ist es her, dass du dein Leichtes Fell ausgezogen hast?"
„Ich trage es, seitdem ich aus diesen Stahlplatten
herausgekommen bin ..." Gu Yun hielt inne, weil er spürte, dass an seinen
Worten etwas nicht stimmte, und fügte dann hastig hinzu: „Ah, natürlich ziehe
ich es aus, wenn ich bade. Ich habe keine unangenehmen Hobbys wie dieser kahlköpfige
Esel Liao Ran."
Chang Geng schubste ihn flach auf den Bauch. „Beweg dich
nicht. Ich kann nicht glauben, dass du immer noch die Frechheit besitzt, andere
zu verhöhnen."
In ihrer Jugend waren diese Männer des Militärs erschreckend
beeindruckend, weil sie sich mit der Ausübung des Krieges beschäftigten. Diejenigen,
die das Glück hatten, ein hohes Alter zu erreichen, hatten jedoch unweigerlich
einen Körper voller alter Verletzungen. Lenden- und Halswirbelverschiebungen
waren bei solchen Veteranen alles andere als selten.
Leichte Felle waren zwar praktisch, aber im Gegensatz zu Schweren
Rüstungen, die von innen gestützt wurden, lagen diese Anzüge direkt auf dem
Körper auf. Wenn Gu Yun in voller Kampfbereitschaft war, trug er sie sogar im
Schlaf. Seine Muskeln und Knochen würden so mit der Zeit keine ausreichende
Erholung mehr finden. Chang Geng brauchte nur leicht nach unten zu drücken, um
zu hören, wie Gu Yuns geschundener Körper protestierte.
„Jetzt spürst du es nicht, weil die Muskeln in deinem Rücken
das Gewicht noch tragen können, aber was ist, wenn du älter wirst?" Mit
gleichmäßigem Druck strich Chang Geng mit beiden Händen an seinen
Schulterblättern entlang und begann, seine steifen Schultern zu kneten.
Gu Yun war bekannt dafür, Shen Yi böse Blicke zuzuwerfen,
wenn der Mann so nörgelte, aber als er Chang Geng mit trägen, halbgeschlossenen
Augen zuhörte, war er überhaupt nicht verärgert. In der Armee war alles so
einfach wie möglich gehalten; selbst der Graf von Anding hatte nicht viele
besondere Privilegien. In dem Zelt gab es nur ein Feldbett und eine einsame
Gaslampe, die am Kopfende des Bettes hing. Das Licht, das sie warf, war schwach
und ließ die beiden in Schatten versinken.
„Tut es weh?", fragte Chang Geng.
Gu Yun schüttelte den Kopf. „Die Nachricht von deiner
Versorgungslieferung wird sich inzwischen sicher herumgesprochen haben",
sagte er langsam und mit gedämpfter Stimme. „Die verbündeten Armeen der
westlichen Regionen sind ein ungeordneter Haufen. Sie haben alle ihre eigenen
Pläne und führen ihre eigenen Berechnungen auf ihren kleinen Abakussen durch.
Die Westler haben nicht mehr die Mittel, sie bedingungslos mit Dampfmaschinen
und Eisenrüstungen zu versorgen. In ein paar Tagen wird es zweifellos einige
geben, die ihre Sache verraten und heimlich zu uns herüberkriechen, um sich uns
zu ergeben ... pfft, warte, warte ..."
Gu Yun hatte überhaupt nicht reagiert, als Chang Geng seine
Schultern knetete, aber in dem Moment, als er mit den Fingern an seiner
Wirbelsäule entlang zu seinen Rippen glitt, verkrampfte sich Gu Yun und begann
zu lachen. „Das kitzelt."
Chang Geng drückte fest zu und grub seine Finger in Gu Yuns
Fleisch. „Es kitzelt, wenn ich so viel Kraft aufbringe?", fragte er
verärgert. „Bist du sicher, dass du den Unterschied zwischen Schmerz und Kitzel
kennst?"
„Deine Technik lässt eindeutig zu wünschen übrig",
schimpfte Gu Yun. „Aber selbst wenn sie sich ergeben, wären wir dumm, das für
bare Münze zu nehmen. Diese Bastarde sind zu sehr an Hinterhältigkeit und
Doppelzüngigkeit gewöhnt. Wenn wir sie nicht zur Unterwerfung zwingen, werden
sie sich wieder erheben und unseren Hinterhof in Brand setzen. Ich habe vor, am
Neujahrsabend Truppen zu entsenden. Vorher sollten wir ihnen eine ordentliche
Tracht Prügel zum Neujahrsessen servieren.“
Chang Geng legte Gu Yun eine Hand auf die Schulter und
drückte dann seinen anderen Ellbogen an Gu Yuns Wirbelsäule entlang, wobei er
sich methodisch nach unten vorarbeitete. „Sind genügend Truppen des Schwarzen
Eisenbataillons am Jiayu-Pass stationiert?"
„Selbst wenn nicht ..." Gu Yuns Rücken wölbte sich. „Ha
ha ha, nicht, hör auf, hör auf ‒"
Chang Geng ignorierte ihn, drückte ihn mit den Ellbogen
nieder und strich zweimal an beiden Seiten seiner Wirbelsäule entlang, bevor er
seine Streicheleinheiten abbrach.
Gu Yun lachte so sehr, dass er fast weinte und ihm der Magen
wehtat. Als er endlich wieder zu Atem gekommen war, machte er da weiter, wo er
aufgehört hatte: „Unsere ... Unsere Truppenstärke sollte ausreichen. Als Erstes
werden wir den Nationen, die versuchen, sich zu ergeben, antworten und
Friedensgespräche ansetzen. Wir werden sagen, dass wir das Feuer einstellen,
solange sie sich verpissen und weit von unserer Grenze entfernt bleiben. Wenn
die Zeit gekommen ist, werden wir einen Angriff starten und in der zweiten
Angriffswelle mit Schwerer Rüstung nachziehen. Wir werden ein großes Spektakel
veranstalten, um sie einzuschüchtern. Jeder, den wir abschrecken, ist einer, um
den wir uns nicht kümmern müssen. Dann kümmern wir uns um den Rest, wenn sie
kommen."
Chang Geng krümmte seine Finger. „Hast du keine Angst, dass
die Leute sagen, du würdest dein Wort nicht halten, wenn du ihr Vertrauen
missbrauchst?", fragte er mit einem Lächeln.
„Sie sind ein Haufen tributpflichtiger Vasallenstaaten, die
sich auflehnen", sagte Gu Yun achtlos. „Diese unbedeutenden Herrscher sind
wie ein Sohn, der seinen Vater schlägt; ich sehe nicht, dass sie sich ehrenhaft
verhalten und Dankbarkeit oder Loyalität bekunden ‒ ahh! Du ... Du barfüßiger
Quacksalber!"
Chang Geng bohrte auf einen Akupunkturpunkt an seiner
Taille, und Gu Yun schrie auf, sprang hoch wie ein Fisch am Haken und krachte
mit einem Knall zurück auf das Bett.
Chang Geng hatte keine andere Wahl, als nachzulassen. „Versuch,
es auszuhalten. Hat dir noch keiner der Sanitäter im Lager eine Massage
gegeben?"
„Hm, lass mich nachdenken ..."
„Hör auf, zu denken, wir wissen beide, dass niemand hier die
Fähigkeit hat, dich festzunageln." Chang Geng erhob sich, setzte sein Knie
neben Gu Yun auf das Bett und wechselte von seinen Fingern zu seinen
Handflächen. „Ich werde versuchen, sanft zu sein."
Diesmal benutzte er die Ballen seiner Hände und erhöhte
allmählich den Druck, während er sich Gu Yuns Akupunkturpunkten näherte. Gu Yun
machte überhaupt nicht mit. Je stärker Chang Geng drückte, desto mehr spannten
sich die Muskeln an Gu Yuns unterem Rücken an, als ob er versuchte, es seinem
Angreifer an Kraft gleichzutun. Unter seiner inneren Robe waren die klaren
Linien seiner Taille deutlich zu erkennen. Chang Geng wurde kurz von dem
Gedanken abgelenkt, dass er Gu Yuns Taille leicht mit seinen beiden Händen
umschließen konnte. Vorher hatte er keine unreinen Gedanken gehabt, aber jetzt
bebte sein Herz und begann zu rasen. Seine Hände verringerten unbewusst ihren
Druck und kitzelten Gu Yun auf eine andere Weise als zuvor.
Diesmal sprang Gu Yun nicht vom Bett auf. Stattdessen schien
ein unerklärliches Gefühl Chang Gengs Berührung folgend nach oben zu gleiten.
Gu Yun griff unbeholfen nach hinten und ergriff Chang Gengs Hand. „Das ist
genug."
Chang Geng zuckte überrascht zusammen. Das ganze Blut in
seinem Körper schoss ihm ins Gesicht, und sein Hals färbte sich komplett rot.
Gu Yun hustete trocken. „Was ist mit dir? Wann kehrst du in
die Hauptstadt zurück?"
Chang Geng schaute ihn unverwandt an. „Ich will nach dem
Sechzehnten abreisen."
Gu Yun wusste nicht, was er sagen sollte; diese Worte waren
viel zu süß. Nach einem Moment, in dem er in Gedanken versunken war, sagte Gu
Yun leise: „Es wäre besser, wenn du nicht so lange bleiben würdest."
Chang Geng schaute etwas verlegen weg. „Hm, ich meinte ja
nur. Die Kriegsbakenscheine haben der Staatskasse etwas Erleichterung
verschafft, aber bei Hofe ist noch vieles in der Schwebe. Ich bin immer noch
..."
„Deine Anwesenheit hier ist schlecht für die Moral",
unterbrach ihn Gu Yun mit ernster Miene. „Für meine Moral."
Chang Geng starrte zurück.
Gu Yun griff nach oben und zog ihn zu Boden. Chang Geng, der
mit einem Knie auf dem Bett balancierte, wurde überrumpelt und fiel fast auf Gu
Yuns Brust.
Gu Yun fuhr mit den Fingern durch Chang Gengs Haar und
packte ihn am Hinterkopf. „Ich habe von den Kriegsbakenscheinen gehört", sagte
er.
Chang Gengs Pupillen zogen sich leicht zusammen, aber nach
einem Moment des Schweigens sagte Gu Yun kein weiteres Wort darüber, wie er eine
große Korruptionsaffäre inszeniert hatte, um seine Gegner auszuschalten. Stattdessen
sagte er nur: „Wenn du nach Hause kommst, sieh in den Türpstoppern und unter
den Betten nach, ob du ein paar Tael Silber zusammenkratzen kannst, um ein paar
dieser Scheine zu kaufen. Dein kaiserlicher Bruder braucht das Geld nicht
zurückzugeben, solange er mich mit einem Bauernhof belohnt, von dem ich im
Ruhestand leben kann."
Die Emotionen von Chang Geng stiegen und fielen in rascher
Folge. Er konnte nicht anders, als zu fragen: „Wozu brauchst du einen Bauernhof?"
„Wenn wir die Ausländer vertrieben haben und die Welt in
Frieden lebt, werde ich das Kämpfen aufgeben", sagte Gu Yun mit leiser
Stimme, während er Chang Gengs Haarspitzen leicht um seine Finger wickelte. „Das
habe ich schon vor einiger Zeit beschlossen. Wenn die Zeit gekommen ist, werde
ich das Schwarze Eisenbataillon in drei Divisionen aufteilen. Die Falken, Panzer
und Rösser werden jeweils ein Drittel des Kommandosiegels kriegen. Auf diese
Weise können sie in Zukunft zusammenarbeiten und sich gegenseitig kontrollieren
... Was das Schwarze Eisen-Tigeramulett betrifft, so werde ich ihn an das
Kriegsministerium zurückgeben. Wenn sich der Staub gelegt hat, werden nicht nur
Groß-Liang, sondern auch alle Vasallenstaaten jenseits unserer Grenzen schwere
Verluste erlitten haben und eine neue Generation von Führern willkommen heißen.
Wir können mehrere Jahrzehnte des Friedens erwarten. Dein kaiserlicher Bruder
hält mich für einen Schandfleck, also werde auch ich ihm nicht mehr dienen.
Künftige Generationen können sich um die Zukunft kümmern; ich werde mir einen
schönen Ort mit grünen Hügeln und kristallklarem Wasser als … ach, als Verlobungsgeschenk
aussuchen."
Chang Geng hörte eine Weile zu, ohne ein Wort zu sagen. Im
Licht der Gaslampe schienen seine Augen vor Tränen zu schimmern. „Das ist nicht
das, was du letztes Mal gesagt hast."
„Hm?"
„Letztes Mal hast du mir gesagt, ich solle keine Angst
haben, du würdest mich gut behandeln, wenn ich bei dir bliebe ... Gilt dieses
Versprechen noch?", fragte Chang Geng.
Gu Yun leugnete es rundheraus. „Wann habe ich jemals etwas
so Schändliches gesagt?"
Chang Geng gab kein Pardon, als er diese alten Konten
umdrehte: „Letztes Jahr, während des ersten Monats auf dem Grafenanwesen. Das
hast du gesagt, als du versucht hast, mir in deinem Zimmer die Kleider
auszuziehen."
Gu Yun war gedemütigt. „Das war ... Ich ..."
Chang Geng konnte es nicht länger ertragen. Er senkte den
Kopf und verschloss Gu Yuns Mund mit seinem eigenen.
Mein lieber Marschall, dachte er mit einer Mischung
aus Süße und Kummer. Wie viele berühmte Generäle in der Geschichte haben es
geschafft, ihre Rüstung abzulegen und sich zur Ruhe zu setzen? Deine Worte sind
wie eine Klinge in meinem Herzen.
Chang Geng hatte sich tatsächlich zu sehr aufgeregt.
Unfähig, sich zu entspannen, wirkte er zurückhaltend und ungeduldig, und im
Handumdrehen wurden ihm die Zügel von Gu Yun entrissen, der seine Sinne
wiedererlangt hatte.
Gu Yun drehte sich um und drückte Chang Geng unter sich
fest. Plötzlich dachte er: Kein Wunder, dass die Alten sagten, in der
Umarmung der Geliebten würden die Helden sterben. Was brauchte er schon das
Grafenanwesen oder eine kaiserliche Residenz auf dem Lande; ein gewöhnliches
Haus mit einem kleinen Hof und einem winzigen Schlafzimmer würde genügen, mit
einer Fußbodenheizung, die gerade ausreichte, um etwas Wein zu erwärmen.
Jemanden, der so fürsorglich und liebevoll war, in seinen Armen zu halten,
obwohl es tiefster Winter war, gab ihm das Gefühl, als würden seine Knochen
schmelzen. Von einem Krieg ganz zu schweigen; er wollte nicht einmal zum Hof
gehen.
Diesmal war es anders als bei dem Abschiedskuss, den sie
sich auf den Festungsmauern der Hauptstadt gegeben hatten; ihm fehlte die
Intensität der Verzweiflung. Gu Yun hatte das Gefühl, dass ein Teil seines
Herzens zusammengebrochen war und die weichste Stelle in seiner Brust freigab. Von
nun an gehört dieser Mensch mir.
Lange Zeit später, als beide etwas unruhig atmeten, griff Gu
Yun nach oben und drehte die Gaslampe herunter. Er streichelte das Gesicht von
Chang Geng. „Du musst erschöpft sein von der langen Reise. Hör auf, mich zu
provozieren, und schlaf dich richtig aus, ja?"
Chang Geng ergriff seine Hand. Gu Yun küsste ihn auf die
Wange und sagte neckend: „Ich werde in Zukunft noch viele Gelegenheiten haben,
mich mit dir anzulegen. Also los, schlaf."
Das war nicht ganz das, was Chang Geng erwartet hatte, aber
er war wirklich hundemüde. Die wilden Schwankungen seiner Emotionen hatten ihm
viel Energie geraubt, und er fiel bald in einen unruhigen Schlaf. Gu Yun
hingegen schloss nur für ein kurzes Nickerchen seine Augen. Kurz nach der
vierten Nachtwache hüllte er sich in eine Robe und machte sich auf den Weg.
Wäre Chang Gengs Besuch nicht gewesen, hätte er in dieser Zeit rund um die Uhr
gearbeitet.
Er überprüfte den Stand der Vorräte aus der Hauptstadt,
verteilte den Sold der Soldaten, überprüfte den Stand der Violetten Goldvorräte,
legte die Organisation der Truppen fest und entwarf Kampfstrategien ... All das
musste vom Oberbefehlshaber geprüft und genehmigt werden. Sein Vorschlag, einen
Keil zwischen ihre Feinde zu treiben, war kurz und bündig, aber der Teufel
steckte im Detail. Je besser sie sich vor der Schlacht vorbereiten, desto
größer sind ihre Chancen auf einen Sieg. Es stimmte zwar, dass Marschall Gus
Flöte eine tödliche Waffe war, die eine Armee von Tausenden belagern konnte,
aber es würde nicht ausreichen, sich allein auf die Angst zu verlassen, die das
Gesicht der Blume des Nordwestens und die durchdringenden Klänge seiner
unheiligen Dämonenmusik auslösten.
Gu Yun senkte seinen Kopf und betrachtete Chang Geng, der
immer noch fest schlief. Genau wie Fräulein Chen gesagt hatte, war sein Schlaf
keineswegs friedlich. Andere Menschen träumten von den Dingen, an die sie
tagsüber dachten, aber in Chang Gengs Fall, egal wie glücklich er vor dem
Einschlafen war, wenn er die Augen schloss, erwarteten ihn nur Albträume. Seine
Stirn war zu einem festen Knoten verzogen, sein Teint im Licht des Mondes, der
auf dem Schnee jenseits des Passes glitzerte, totenblass. Unbewusst ballte er
die Finger und klammerte sich an den Zipfel von Gu Yuns Robe, als wäre er seine
letzte Hoffnung.
Wu'ergu war ein Gift, das den Geist erschöpfte. Im
Wachzustand konnte man es durch bloße Willenskraft etwas unterdrücken, aber im
Schlaf verstärkte sich der Einfluss des Giftes. Als jemand, der immer unter
Schlafmangel litt, standen Gu Yun allein bei dem Gedanken daran die Haare zu
Berge. Er versuchte, den Zipfel seiner Robe freizuziehen, aber er rührte sich
nicht. Stattdessen zog Chang Geng, scheinbar erschrocken über die Bewegung,
seinen Griff noch fester an, und eine unbeschreibliche Bösartigkeit flackerte
über sein Gesicht.
Sie befanden sich mitten in einem Militärlager; Gu Yun würde
nicht mit einem zerschnittenen Ärmel hinausgehen,
um militärische Angelegenheiten mit seinen Untergebenen zu besprechen. Er
seufzte und griff nach dem Beutel, der an Chang Gengs äußerer Robe befestigt
war. Er holte eine nahe gelegene Tasse, schüttete etwas beruhigenden Duft in
den Boden, stopfte das Pulver hinein und zündete es an.
Der satte Duft erfüllte das Zelt fast sofort. Gu Yun stellte
die Tasse neben Chang Gengs Kopfkissen, dann beugte er sich hinunter und
drückte ihm einen sanften Kuss auf die Stirn. Chang Geng regte sich, wachte
aber nicht vollständig auf. In seinem schläfrigen Halbschlaf schien er den Mann
neben sich zu erkennen. Seine Stirn glättete sich, als er endlich seinen Griff
lockerte.
Gu Yun warf einen letzten besorgten Blick zurück, bevor er
sich in die Nacht hüllte.
_________________________
Das Ende des Jahres war furchtbar düster. In der Neujahrsnacht
waren nur ein paar einsame Knallgeräusche von Feuerwerkskörpern auf dem Pass zu
hören. Kalte Winde peitschten über den Sand und wehten rote Papierfetzen wie
tanzende Schmetterlinge in die Luft, aber es gab keine schelmischen Kinder, die
mit Wunderkerzen in den Straßen winkten. In der Hauptstadt war die Hälfte des
Drachenflug-Pavillons eingestürzt. Die Rotkopfdrachen, um die hohe Beamte und
Adlige einst mit exorbitanten Summen kämpften, waren ebenfalls verschwunden.
Eine große Zahl von Flüchtlingen hatte den Jangtse nach
Norden in die Region Jiangbei überquert. Einige waren erfroren, andere waren
verhungert. Der Tausch von Kindern gegen Lebensmittel war weit verbreitet, und
sogar Fälle von Kannibalismus waren nicht unbekannt.
Die regionalen Regierungen hatten sich zunächst geweigert,
die öffentlichen Kornkammern zu öffnen. Chang Geng hatte gegen Ende des Jahres
persönlich das Amt des kaiserlichen Gesandten übernommen und bereiste das Land,
um die regionalen Handelskammern zu besuchen und für den Kauf von Kriegsbakenscheinen
zu werben. Er brachte ein Kontingent von Soldaten mit, die er sich vom alten
General Zhong ausgeliehen hatte, und legte sich mit jedem betrügerischen
Händler und korrupten Beamten an, der sich weigerte, Lebensmittel zu verteilen,
auf die er unterwegs traf. So tötete er mit
rücksichtsloser Effizienz das Huhn, um den Affen zu warnen, und
statuierte an kleinen Übeltätern ein Exempel, um ihre mächtigeren Mitstreiter
abzuschrecken. Endlich konnten die Flüchtlinge, die die Straßen überschwemmten,
ihre Bäuche mit etwas verdünntem Reisbrei füllen.
Innerhalb eines Jahres wurden sowohl bei wohlhabenden
Familien als auch bei verarmten Bauern die über Jahrhunderte mühsam angehäuften
Vermögen, die von Generationen von Menschen gehortet wurden, die weder für
Nahrung noch für Kleidung aufkommen konnten, über Nacht vernichtet. Die
Wechselfälle des Lebens waren wie heftige Stürme und sintflutartige Regenfälle.
So wie Menschen ohne weltliche Besitztümer geboren werden, kann man materielle
Errungenschaften im Tod nicht behalten. Selbst wenn man all seine Kraft und
seinen Einfallsreichtum aufbrachte, konnte man am Ende nur auf das unbegründete
Sprichwort "Der Mensch schlägt vor, der Himmel
verfügt" vertrauen.
Das Schwarze Eisenbataillon, das am Jiayu-Pass lagerte,
bereitete wie üblich drei Wagenladungen Feuerwerkskörper vor, in der Hoffnung,
das kommende achte Jahr von Longan mit Glück zu erfüllen. In der Neujahrsnacht
hängten sie Laternen an den Tortürmen auf. Selbst die Wachen schienen untypisch
abwesend zu sein.
Ein Späher aus den westlichen Regionen, gekleidet in einen
Anzug aus trockenem und verdorrtem Gras, schlich sich heimlich zum Jiayu-Pass
hinauf. Durch den Lauf seines Zielfernrohrs spähte er die Festung vom
Morgengrauen bis zur Abenddämmerung aus. Alle Wachen des Schwarzen
Eisenbataillons, die das Tor bewachten, schienen ungewöhnlich lax zu sein. Die
Zahl der Wachen, die normalerweise wie ein Speer standen, hatte sich halbiert,
und von denjenigen, die Dienst taten, zupften einige an den Ohren und kratzten
sich an den Wangen, während andere in die eine oder andere Richtung schauten.
Einige blickten sogar immer wieder hinter sich, wie in Erwartung ... Bald gab
es eine Erklärung für ihre Ablenkung ‒ wie sich herausstellte, sollte an diesem
Tag ein Stapel Briefe aus der Heimat von der nächstgelegenen Relaisstation
eintreffen. Der Späher der westlichen Regionen blinzelte hinter der Linse, als
die Boten zum Tor der Festung hinaufkamen. Viele der Soldaten, die Briefe
erhielten, öffneten sie auf der Stelle.
Die Leichten Kavallerieeinheiten, die die regelmäßigen
Patrouillen durchführten, tauchten an diesem Tag nur einmal auf und umkreisten
oberflächlich das Gebiet, bevor sie zum Lager zurückkehrten. Die Mitglieder des
Schwarzen Eisenbataillons waren schließlich auch noch Menschen. Sie waren nicht
immun gegen die Anziehungskraft dieser Handvoll besonderer Tage im Jahr.
Die verbündeten Armeen der westlichen Regionen waren seit
der Ankunft des Gesandten und des Nachschubs aus der Hauptstadt von Groß-Liang
in heller Aufregung. Seit sie davon erfahren hatten, schickten sie Späher aus,
um die am Jiayu-Pass gelagerten Soldaten rund um die Uhr im Auge zu behalten.
Der Späher, der an diesem Tag Dienst hatte, wartete, bis die Feuerwerkskörper
über den Tortürmen des Jiayu-Passes explodierten und die Feuerwerkskörper der
Leute aus der Zentralebene in der Ferne leise knallten. Es sah so aus, als ob
das neue Jahr in Ruhe verlaufen würde; schließlich stellte er vorsichtig fest,
dass das Schwarze Eisenbataillon keine plötzlichen Bewegungen machen würde, und
zog sich mit seinen Untergebenen zurück.
In dem Moment, in dem sie sich zurückzogen, begann sich auf
einem kleinen Hügel in der Nähe ein riesiger Felsbrocken zu bewegen, der sich
in der Mitte teilte und an den Seiten zurückklappte ‒ es war tatsächlich eine
Schwarze Falke.
Die Flügel und der Rücken des Schwarzen Falken waren in
demselben Grau bemalt wie der umgebende Stein, und mit feinen Pinselstrichen
waren sogar sorgfältig naturalistische Muster nachgezeichnet worden. Auf den
ersten Blick konnte man ihn leicht für einen echten Falken halten. Der Schwarze
Falke wartete, bis der Späher aus den westlichen Regionen ein gutes Stück
entfernt war, bevor er sich mit lautlosen Flügeln in die Luft erhob. Eine dünne
weiße Dampfwolke schnitt wie eine Klinge durch den Nachthimmel und verflüchtigte
sich im Handumdrehen.
In dieser Nacht teilten sich die Truppen des Schwarzen
Eisenbataillons, die am Jiayu-Pass stationiert waren, im Schein des brillanten
Feuerwerks in drei verschiedene Gruppen auf und verschwanden in der Dunkelheit.
Die Laternen, die über der Festung hingen, schwangen in der
Nacht. Sie schienen vor pulsierendem Wohlstand zu strotzen, doch die langen
Schatten, die sie auf die alten Festungsmauern warfen, zeugten von einer
unbeschreiblichen Überheblichkeit und Trostlosigkeit.
Da in der Hauptstadt ein Berg von Arbeit auf ihn wartete,
hatte Chang Geng nur Zeit für ein kurzes Wiedersehen mit Gu Yun. Er hatte keine
andere Wahl, als noch vor Jahresende die Rückreise anzutreten, und als der Neujahrsabend
anbrach, hatte er gerade das Feldlazarett am Pass erreicht. Chen Qingxu, der
längst von seinen Plänen erfahren hatte, wartete am Eingang des Krankenhauses
mit einem Holzvogel in der Hand auf ihn.
Es war schon ein halbes Jahr her, dass sie sich das letzte
Mal gesehen hatten, aber die beiden waren sich keineswegs unangenehm. Es war,
als hätte Chen Qingxu nie Einspruch dagegen erhoben, dass Chang Geng die Linyuan-Tafel
anvertraut wurde, und als hätte Chang Geng nie heimlich ihren Brief
ausgetauscht. Die Tafel war ihm bereits geschenkt worden. Unabhängig davon,
welche Vorbehalte sie gegenüber der Entscheidung ihrer Mitstreiter haben
mochte, war sie verpflichtet, allen Befehlen, die durch die Tafel erteilt
wurden, Folge zu leisten.
„Bitte gehen Sie nicht weiter hinein, Eure Hoheit",
sagte einer seiner Leibwächter leise. „Es gibt hier nicht viele, die noch alle
ihre Gliedmaßen haben. Der Anblick könnte verstörend sein."
„Wenn Euch schon der Anblick dieser Menschen beunruhigt, was
meint Ihr, wie es denen geht, denen Arme und Beine fehlen?" Chang Geng
warf dem Wächter einen Blick zu, und der Mann errötete vor Verlegenheit. „Ich
bin hier, um meinen Brüdern ein gutes neues Jahr zu wünschen. Chang Geng wandte
sich wieder an Chen Qingxu. „Ich verteile auch Belohnungen und Entschädigungen
vom kaiserlichen Hof als Neujahrsgeschenk ... während ich warte."
„Worauf wartest du?", fragte Chen Qingxu.
„Eine Siegesmeldung", sagte Chang Geng fest. „Die erste
Meldung über den Sieg. Ich werde sie in die Hauptstadt zurückbringen und mit
dem Großen Rat unsere nächsten Schritte bei der Aufteilung und Eroberung der
Völker der westlichen Regionen besprechen."
Erklärungen:
zerschnittenen Ärmel: Hier
spielt Gu Yun auf die Bezeichnung Schnittärmel an. Hinter diesem Wort steckt
eine Geschichte und tiefere Bedeutung. Bei Fragen schaue im Glossar unter dem
Begriff “Schnittärmel“ nach.
… tötete er mit rücksichtsloser
Effizienz das Huhn, um den Affen zu warnen: Der Satz umschreibt eine
alte chinesische Redewendung „Töte das Huhn, um den Affen zu erschrecken“ (杀鸡儆猴), die sich darauf bezieht, an jemandem ein
Exempel zu statuieren, um andere zu bedrohen. Die Geschichte dahinter handelt
von einem Straßenkünstler, der mit seinem tanzenden Affen Geld verdiente. Als
der Affe sich weigerte zu tanzen, tötete der Straßenkünstler ein lebendes Huhn
vor ihm, woraufhin der Affe wieder anfing zu tanzen.
Der Mensch schlägt vor, der Himmel verfügt, 成事在天, 谋事在人. Wörtlich bedeutet es: „Die menschliche Berechnung ist der himmlischen Berechnung nicht gewachsen.“ Diese Redewendung drückt aus, dass, egal wie gut wir planen oder kalkulieren, unvorhergesehene Umstände oder das Schicksal das Ergebnis verändern können.
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Wie schön, die zwei sind so süß miteinander
AntwortenLöschenFind ich auch, wie schön, dass sie endlich zueinander gefunden haben.
LöschenMit Verspätung komme ich auch mal zum lesen. Gu Yun ist ja ganz schön kitzelig XDD Wie soll man da die verspannten und verkrampften Muskeln lösen XD Chang Geng hat es da in diesem Moment nicht leicht mit ihm XD Aber dann dieser kurze Moment den sie gemeinsam hatten, und wo sie sich für einen kurzen Moment haben ausruhen konnten. Wäre da nicht das Wu´ergu, dass den Schlaf bei Chang Geng wieder weniger erholsam werden lässt. Wie er sich dann an der Robe von Gu Yun festhält, als wäre es wirklich sein letzter Anker. Es muss sehr schwer für Gu Yun sein, das zu sehen und man nicht wirklich helfen kann.
AntwortenLöschenDer andere Teil vom Kapitel, war sehr bedrückend. Bei diesem Krieg kann die Neujahrsnacht nicht großartig gefeiert werden. Und das bisschen Knallfrösche und Co. macht es irgendwie nur bedrückender und trauriger. Man kann wirklich nur auf eine Siegesmeldung hoffen.
Ist doch in Ordnung, wenn du erst später zum Lesen kommst, ich freue mich, dass du die Geschichte überhaupt liest.
LöschenChang Geng ist doch eh schon vorsichtig im Umgang mit Gu Yuns Körper, aber seine Kitzeligkeit hilft ihm da nicht wirklich.
Die einfachen und schönen Momente werden Chang Geng bestimmt sehr helfen, wenn das Wu'ergu mal wieder zuschlägt. Gu Yuns Hilflosigkeit kann man nur zu gut verstehen.
Selbst in Kriegszeiten muss man sich was Gutes gönnen, denn es hilft einem die Schrecken des Krieges, für eine kurze Zeit zu vergessen.
Aber jede Nacht Albträume zu haben, ist echt schon grausam. Vor allem, wenn die Ereignisse und glücklichen Momente davor, keinen Einfluss auf das Schlafverhalten haben.