Er war immer noch der berühmte Prinz Yan, der Anführer des Großen Rates. Doch jedes Mal, wenn er aus den Albträumen erwachte, die Xiu-Niang ihm eingebrannt hatte, war Gu Yun die einzige Person, an die er denken konnte, nach der er sich sehnte, die er erwartete und an die er glaubte.
Das Gewicht dieser einen Person war so schwer in seinem
Herzen, dass es ihm manchmal schwerfiel, die Last zu tragen.
Der große Meister Liao Ran hatte ihm einmal geschrieben:
"Das Leiden der Menschheit liegt nicht im Loslassen, sondern im
Festhalten. Je mehr Dinge du festhältst, desto voller werden deine Hände und
desto mehr beschweren sie dich bei jedem Schritt nach vorn." Diese Worte
trafen Chang Geng tief, und er musste zugeben, dass Liao Ran recht hatte. Für
ihn wog Gu Yun allein über tausend Kilogramm ‒ und doch war er nicht in der
Lage, ihn loszulassen. In dem Moment, in dem er es tat, würde er nichts mehr
haben.
Wenn ein Mensch nichts Wertvolles in seinem Leben hätte,
wäre er dann nicht nur ein Schiff ohne Ruder, das dorthin trieb, wohin die
Strömungen es trieben?
Gu Yun legte einen Arm um Chang Gengs Schultern und klopfte
leicht auf die Kurve, wo seine Schulter auf seinen Hals traf. Chang Geng zuckte
vor Schmerz zusammen, aber sein Blick, der auf Gu Yun gerichtet war, wich nicht
von der Stelle. „Warum in aller Welt sollte ich wollen, dass du über einen Schwerterberg
kletterst und durch ein Flammenmeer watest?", fragte Gu Yun.
„Ich möchte, dass der Tag kommt, an dem die Nation gedeiht
und das einfache Volk eine lohnende Arbeit hat. Wenn das ganze Land in Frieden
lebt und mein General unsere Grenzen nicht bis zum Tod verteidigen muss. Ich
will wie Meister Fenghan Stellung beziehen und die verworrene Beziehung
zwischen kaiserlicher Autorität und Violettem Gold entwirren. Ich möchte, dass
alle landgebundenen Dampfmaschinen solche sind, die die Felder bearbeiten, und
dass die Riesendrachen, die über den Köpfen schweben, mit einfachen Leuten
besetzt sind, die mit ihren ganzen Familien im Schlepptau zu den Häusern ihrer
Vorfahren reisen ... Ich möchte, dass jeder Mensch in Würde leben kann."
Chang Geng legte seine Hand um die von Gu Yun und verschränkte ihre Finger, bis
sie innig miteinander verwoben waren.
Gu Yun war verblüfft. Es war das erste Mal, dass Chang Geng
ihm sein Herz auf diese Weise offenbart hatte. Als er ihn reden hörte, spürte
Gu Yun, wie sein Blut zu rasen begann. Aber wenn er genau darüber nachdachte,
erschien ihm jedes Einzelne dieser Dinge leider unerreichbar.
„Ich kann es tun, Zixi. Lass es mich versuchen", sagte
Chang Geng mit leiser Stimme. Er hatte die Kraft eines bösen Gottes ‒ warum
sollte er nicht versuchen, diese blutige Welt zu zerreißen und einen nie da
gewesenen neuen Weg für das einfache Volk einzuschlagen?
Damals in der Stadt Yanhui hatte ein vierzehnjähriger Junge
einem jungen General, der gerade erst volljährig geworden war, seine
Vorstellung von einem lebenswerten Leben erzählt. Damals hatte Gu Yun, der den
Leichtsinn der Jugend noch nicht abgelegt hatte, ihm sprichwörtlich einen Eimer
Eiswasser über den Kopf geschüttet und ihm kalt erklärt, dass es für Helden
kein Happy End gibt. Jetzt, nach mehreren Einsätzen im gelben Wüstensand und
einem Besuch in den kaiserlichen Kerkern, hatte Marschall Gu diese Worte der
Warnung am eigenen Leib erfahren. Doch aus irgendeinem Grund sah er sich nicht
in der Lage, sie ein zweites Mal vor Chang Geng auszusprechen.
Wenn Gu Yun an Chang Gengs Stelle wäre und jemand würde auf
ihn zeigen und sagen: „Gu Yun, du solltest dich schleunigst zurück zum
Grafenanwesen verpissen, um dein Leben im Ruhestand zu genießen. Du kannst von
Glück sagen, dass du bis jetzt überlebt hast. Wenn du dich heute nicht
zurückziehst, wirst du früher oder später einen schmachvollen Tod sterben“ ‒
wie würde er sich dann fühlen?
Das Leben in dieser Welt war wie das Stapfen durch eisigen
Schlamm; es war unvermeidlich, dass man nur mühsam vorankam. Mit der Zeit
erstarrte man natürlich durch und durch. Wie schwierig war es, ein Herz
aufrechtzuerhalten, das heißes Blut vergoss, das vorwärtsdrängte, obwohl man
wusste, dass man dem Unmöglichen gegenüberstand. Wenn dann auch noch jemand
weitere Hindernisse in den Weg legte ‒ wenn sogar die engsten Freunde und die
Familie dies taten ‒ wäre das nicht viel zu traurig?
Gu Yun schwieg eine lange Zeit. Erst als Chang Geng leichte
Anzeichen von Nervosität zeigte, öffnete er seinen Mund. „Ich habe dich geküsst
und umarmt ‒ was willst du noch von mir hören? Männer, die zu viel reden, haben
keine Zeit für andere Dinge. Verstehst du?"
Erstaunt sah Chang Geng zu, wie mit einem Fingerschnippen
von Gu Yun die halb tote Gaslampe neben dem Bett erlosch. Die Morgendämmerung
hatte noch nicht eingesetzt, und das Zimmer war in Dunkelheit getaucht. Die
Bettvorhänge, die normalerweise zurückgebunden waren, wehten sanft in der
kühlen Morgenbrise, die durch den Fensterspalt drang, flatterten herunter und
verdunkelten alles. Bevor Chang Geng reagieren konnte, spürte er, wie sich der
Stoff an seiner Taille lockerte ‒ irgendwann war seine Gürtelschärpe verschwunden.
Chang Geng war noch immer in seinen Schwur über den Berg von Schwertern und das
Flammenmeer vertieft und musste sich erst wieder sammeln. Mit einem Aufschrei
wurde sein Gesicht knallrot.
„Z-Zixi ...", brummte Gu Yun geistesabwesend als
Antwort, während er ungeduldig das Seidentuch von sich warf, das seinen
verwundeten Arm bedeckte. Er lehnte sich träge in den Stapel weicher
Brokatdecken zurück und fuhr mit der Fingerspitze über Chang Gengs Revers. „Damals
in dem Herrenhaus mit den heißen Quellen sagtest du, du hättest von mir geträumt
... Wovon genau hast du geträumt?"
Chang Geng konnte keine Antwort geben.
„Bist du nicht ein geschickter Redner?" Gu Yun gluckste
leise. „Dann lass mal hören."
Chang Geng hatte noch nie einen so provokanten Flirt erlebt.
Prompt verknotete sich seine Zunge zu einem Knoten. „Ich ... Ich ..."
„Wenn es um so etwas geht, reicht es nicht aus, nur daran zu
denken." Gu Yun streichelte Chang Gengs Taille durch seine Kleidung
hindurch, dann glitt seine Hand hinunter zu der Stelle, wo der Oberschenkel mit
dem Becken verschmolz. Chang Geng wäre fast aus dem Bett gesprungen, denn er
vergaß zu atmen. Überwältigt ergriff er Gu Yuns spitzbübische Hände. Eine
Feuerlinie bahnte sich ihren Weg von seinem Bauch bis zu seiner Kehle; er
fühlte sich, als würde er gleich zu Asche verbrannt werden. In der Zwischenzeit
hatte Gu Yun bereits sein Revers gelockert.
Als die kühle Luft Chang Gengs Brust berührte, schien er zu
einer Erkenntnis zu gelangen. Er versuchte, Gu Yuns forschende Hand
festzuhalten, aber es war zu spät ‒ die Narben aller Größen, die seine Brust
unter dem Kragen bedeckten, lagen frei. Als die leicht schwieligen Finger
darüber strichen, war das Gefühl unbeschreiblich. Einerseits konnte Chang Geng
nicht anders, als zurückzuschrecken, andererseits war sein Mund trocken, und
seine Ohren klingelten leise. Er wusste nicht, ob er vorrücken oder sich zurückziehen
sollte.
Gu Yun war tagelang unterwegs gewesen und hatte dann eine
ganze Nacht neben seinem eigenen Bett gewartet. Wie es der Zufall wollte, ließ
die Wirkung der Medizin, die er eingenommen hatte, genau in diesem Moment nach.
Seine Sicht begann zu verschwimmen, aber die Stimmung war perfekt. Es würde
nichts bringen, jetzt sein Glasmonokel herauszuholen und die Stimmung zu
verderben ‒ wenn er es trug, fühlte er sich wie ein Handwerker, der sich
anschickt, eine Rüstung zu zerlegen.
Also verließ er sich ganz auf seinen Tastsinn. Er ließ seine
Hände über die unebene Oberfläche von Chang Gengs Narben gleiten, und das
Gefühl war noch schockierender, als die Spuren mit den Augen zu sehen.
„Tun sie weh?", fragte Gu Yun leise.
Chang Geng senkte seinen Blick und starrte ihn aufmerksam
an, dann wich er der Frage aus: „Sie sind schon vor langer Zeit verheilt."
Hundert verschiedene Emotionen stiegen in Gu Yuns Herz auf.
Für einen Moment ließ sogar seine aufkeimende Lust nach. Er verengte seine
zunehmend unscharfen Augen und strich vorsichtig mit den Fingern über die
Narben. Chang Geng konnte es nicht mehr ertragen; mit einem leisen Wimmern
packte er Gu Yuns Handgelenk.
„Hab keine Angst", beruhigte ihn Gu Yun. „Ich werde gut
auf dich aufpassen."
Hätte der Halbblinde in diesem Moment Chang Gengs Gesicht
sehen können, hätte er wahrscheinlich nicht gesagt, dass er keine Angst haben
muss.
Chang Geng beugte sich hinunter und küsste ihn, und Gu Yun
wurde erneut ungeduldig. Doch gerade als er Chang Geng auf den Rücken drücken
und zur Sache kommen wollte, platzte Chang Geng aus einem unerfindlichen Grund
plötzlich heraus: „Yifu ..."
Gu Yun erstarrte.
Mit dieser einzigen Äußerung von Chang Geng wurde Gu Yun
weich. Seine lodernde Fleischeslust, die eben noch so intensiv war, wurde
augenblicklich ausgelöscht, ausgemerzt und in einen eisernen Käfig gesteckt. Gu
Yun atmete mehrmals heftig ein. Er war kurz davor, zu schreien: ‚Wieso zum
Teufel sagst du in so einem Moment?‘ Aber nachdem er darüber nachgedacht
hatte, wurde ihm klar, dass der Kerl nicht ganz daneben lag.
Offenbar gab es einige Männer, die insgeheim den
Nervenkitzel solcher moralischen Tabus genossen und darauf erpicht waren, dass
ihre Geliebten sie im Bett mit allem möglichen Unsinn beschimpften. Leider
hatte Gu Yun absolut kein Interesse an solchen Dingen; er konnte den Reiz
überhaupt nicht verstehen. Im letzten halben Jahr hatte er sich schließlich
mühsam daran gewöhnt, dass Chang Geng ihn mit seinem Höflichkeitsnamen
ansprach. Er hatte auch langsam aufgehört, ihn als seinen Patensohn zu
betrachten. Dennoch hatte er nie erwartet, in einem so kritischen Moment mit
dem Wort Yifu kopfüber zusammenzustoßen. Die Wucht des Aufpralls ließ ihn vor
Schreck schwindelig werden.
Chang Geng schien sein Unbehagen nicht zu bemerken. Er rief
Gu Yun noch mehrere Male mit diesem Namen, als könne er nicht anders, und
küsste ihn immer wieder willkürlich. In diese Intimität mischte sich eine
Frömmigkeit, die dem alten Perversen das Gefühl gab, auf Nadeln zu sitzen. In
Verbindung mit der Bezeichnung "Yifu" war die Wirkung ziemlich
bemerkenswert. Gu Yun hatte das Gefühl, als würde sein ganzer Körper von
Ameisen bevölkert werden. Schließlich konnte er es nicht mehr ertragen und wandte
sein Gesicht ab: „Hör auf, mich so zu nennen."
Chang Geng hielt inne und starrte ihn ein paar Sekunden lang
schweigend an. Dann beugte er sich vor und murmelte in Gu Yuns Ohr: „Yifu, wenn
du nicht klar sehen kannst, dann schließe deine Augen, okay?"
Ganz gleich, wie schwerhörig Gu Yun auch sein mochte ‒ und
er war noch nicht einmal ganz taub ‒, er konnte erkennen, dass Chang Geng dies
mit Absicht tat. „... Du stehst auf so etwas, nicht wahr?"
Chang Gengs Augen leuchteten atemberaubend hell in der
Dunkelheit der Bettvorhänge. Er senkte seine Stimme und milderte seinen
Tonfall, unnachgiebig, während er Gu Yun ins Ohr schmollte: „Yifu, damals hast
du mir gesagt, du würdest mich beschützen, sobald wir die Hauptstadt erreicht
haben ‒ erinnerst du dich?"
Gu Yuns Gesicht verzerrte sich in verschiedenen Ausdrücken.
Er war gegen Chang Gengs neue Art von Unfug völlig wehrlos und konnte nur einen
strategischen Rückzug planen. Er stieß Chang Geng weg. „Das reicht, hör auf,
schamlos zu sein. Hast du nicht zu arbeiten ... sss!"
„Und welche Arbeit soll ich tun?" Chang Geng nutzte
seine Position aus und drückte Gu Yun zurück ins Bett. Seine Hand hatte bereits
den Weg zur Wölbung von Gu Yuns unterem Rücken gefunden. Damals am Jiayu-Pass,
als er die Knochen eines bestimmten Mannes gerichtet hatte, war er mit dessen
Körper bestens vertraut gewesen. Jetzt schlug er mit der festen Hand eines
Arztes und rücksichtsloser Genauigkeit zu. Gu Yun erschauderte heftig und
spürte, wie er in der Taille schwach wurde. Instinktiv versuchte er, sich zusammenzurollen,
aber Chang Geng klopfte auf eine Handvoll Akupunkturpunkte, und die Hälfte von
Gu Yuns Körper wurde taub. Chang Geng machte ruhig da weiter, wo er aufgehört
hatte. „Hat Yifu mir nicht gerade geholfen, mich krankschreiben zu lassen?
Wirst du dich nicht gut um mich kümmern?"
„Bastard!", fluchte Gu Yun.
Chang Geng stellte sich taub. Er nutzte seine Chance und
näherte sich Gu Yun. Auf eine Art und Weise, die keinen Raum für Widerspruch
ließ, drückte er sein Knie zwischen Gu Yuns Beine und drückte sie auseinander.
Gu Yun brach eine Gänsehaut aus. Er stieß Chang Geng an die Schulter, ergriff
diese respektlose Hand und drehte sie hinter Chang Gengs Rücken. Chang Geng
leistete keinen Widerstand, sein Körper gab nach und erlaubte Gu Yun, ihn nach
Belieben zu manipulieren. Er neigte seinen Kopf zurück, um die verletzliche
Stelle seines Halses zu zeigen, und murmelte schüchtern: „Willst du mich, Yifu?"
Gu Yun zögerte; er konnte diese Hürde in seinem Herzen nicht
überwinden. In dem Moment, in dem sich sein Griff lockerte, schlüpfte Chang
Geng wie eine Schmerle frei und drückte sich erneut an ihn. Er umarmte ihn und
fuhr mit seinen Händen an Gu Yuns Wirbelsäule entlang, während er ihm ins Ohr
hauchte: „Wenn das so ist, warum erlaubst du diesem pflichtbewussten Sohn
nicht, sich um Yifus Bedürfnisse zu kümmern?"
Gu Yun wusste nicht, was er sagen sollte. Er begann zu
begreifen, dass dies vielleicht sein Pechjahr war. Vielleicht hatte er sich den
Zorn von Tai Sui zugezogen; deshalb musste er
einen Rückschlag nach dem anderen erleiden.
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Die Sonne kletterte hoch und der Himmel wurde im
Handumdrehen hell. Das gleißende Licht des Frühsommers strömte in dünnen
Streifen durch die Bettvorhänge, doch ihre Helligkeit verblasste im Vergleich
zum Glanz der Augen von Chang Geng. Endlich verstand er, was es heißt, dass man
nach Jahren des Wunschdenkens nur einen Augenblick braucht, um völlig ins
Delirium zu fallen. Seine Albträume waren weitaus schrecklicher als die
Realität, aber die Realität war weitaus verrückter als seine erotischen Träume.
Nachdem der Wahnsinn vorbei war, fühlte er sich überhaupt
nicht ausgehöhlt. Sein Geist war entspannt ‒ entspannter als jemals zuvor in
seinem Leben ‒ als seine Hände ohne Unterbrechung über Gu Yuns Körper
wanderten. Sagte er Gu Yuns Namen immer wieder, seine Lippen schmiegten sich an
Gu Yuns Ohr, so dass selbst er sich ein wenig lästig fand; aber er konnte sich
nicht beherrschen, konnte nicht aufhören.
Er gab Gu Yun wahllos alle möglichen Bezeichnungen ‒ mal war
es Yifu, mal war es Zixi. Die Silben drückten gegen Gu Yuns Ohren und drangen
in ihn ein und zwangen den Tauben, sie zu hören, obwohl seine Medizin längst
nachgelassen hatte. Gu Yun spürte, wie ein ständiger Strom heißen Atems gegen
seinen Nacken strich. Vorhin hatte Gu Yun, dank eines kurzen Ausrutschers die
Gelegenheit verpasst, die Situation unter Kontrolle zu bringen, und war von dem
kleinen Balg regelrecht vergewaltigt worden. Jetzt war er müde und schläfrig,
aber Chang Geng ließ ihn trotzdem nicht in Ruhe. Unfähig, mit ihm zu reden,
stieß Gu Yun ihn mürrisch weg: „Sei still."
Als er die Erschöpfung auf Gu Yuns Gesicht sah, hielt Chang
Geng gehorsam den Mund. Stattdessen begann er, Gu Yuns unteren Rücken leicht zu
kneten. Er übte genau den richtigen Druck aus, um Gu Yuns ermüdete Muskeln zu
entspannen, ohne seine außergewöhnliche Kitzeligkeit auszulösen.
Gu Yun dachte schweigend über diese Offenbarung nach. Das
letzte Mal hatte er ihn also mit Absicht gekitzelt! Chen Qingxu, diese
Quacksalberin ‒ lehrte sie Chang Geng, Krankheiten zu heilen und Leben zu
retten, oder vermittelte sie krumme Zauberei?! Er wollte Chang Geng gerade
eine Standpauke halten, als dieser plötzlich die Stirn runzelte. Er legte seine
Handfläche auf Gu Yuns Brust und drückte ein paar Mal leicht gegen seine
Rippen, bevor er Gu Yuns Handgelenk packte und seine Finger auf seinen Puls
legte.
Gu Yun schnappte: „Was ..."
„Wann hast du dich wieder verletzt?", unterbrach ihn
Chang Geng.
Gu Yun wurde stumm.
So ein Mist. Es schien, als ob diese Scharlatanin Chen,
abgesehen von der krummen Zauberei, Chang Geng tatsächlich eine echte Medizin
lehrte, wenn er sie nur mit einer Berührung erkennen konnte. In diesem Moment
der Krise zückte Gu Yun seine altbewährte Waffe ‒ Ich bin taub, ich kann
überhaupt nichts hören. Mit dem Ausdruck vollkommener Unschuld drehte er sich
mit dem Rücken zu Chang Geng und blieb regungslos liegen, was darauf
hindeutete, dass er eingeschlafen war: Alle unbeteiligten Parteien sollten sich
verabschieden.
Chang Geng untersuchte ihn von Kopf bis Fuß, aber es war
schon eine ganze Weile her, dass Gu Yun sich diese schrecklichen
Explosionsverletzungen zugezogen hatte. Chang Gengs medizinisches Fachwissen
war nicht ganz so bemerkenswert wie das von Chen Qingxu, und zu diesem
Zeitpunkt waren Gu Yuns Wunden mehr oder weniger verheilt. Chang Geng konnte
nichts Nennenswertes finden, und so war es den beiden gelungen, den jeweils
anderen zu überlisten.
Seine Hoheit Prinz Yan meldete sich krank und ließ sich
einen ganzen Tag lang nicht bei Hofe blicken. Alle wichtigen Minister des
Palastes und des Großen Rates schickten Vertreter, um sich nach seinem Befinden
zu erkundigen, aber jeder einzelne wurde von Huo Dan abgewiesen. Huo Dan war
beim Militär aufgestiegen; er würde sich niemals einem direkten Befehl seines
Vorgesetzten widersetzen. Wenn Gu Yun sagte, dass sie nicht gestört werden
sollten, dann würde Huo Dan wie ein Türgott
schweigend am Eingangstor stehen und es jedem verbieten, dies zu tun. Obwohl
Huo Dan lange darüber nachdachte, konnte er immer noch nicht herausfinden, wie
Gu Yun es geschafft hatte, sich einzuschleichen. Da er nichts Besseres zu tun
hatte, verbrachte er seine Zeit damit, die laxen Sicherheitsvorkehrungen auf
dem Grafenanwesen zu verschärfen.
Gu Yun war wie eine Fledermaus aus der Hölle zurück in die
Hauptstadt gerast und zwei Tage früher als erwartet zurückgekehrt, dann hatte
er eine ganze Nacht nicht geschlafen. Zwar hatte er es endlich geschafft, sich
satt zu essen, aber er war in der falschen Position gelandet und fast erstickt.
Körperlich und geistig erschöpft, schlief er bis in den späten Nachmittag
hinein.
Als er aufwachte, fühlten sich sein Körper und sein Geist
immer noch äußerst seltsam an; wer wusste schon, wer krankgeschrieben war. Er
wollte Chang Geng eine Abreibung verpassen, aber gleichzeitig spürte er, dass
es ihn kleinlich erscheinen lassen würde, wenn er ihn wegen solcher
Kleinigkeiten verbal ausweiden würde. Schließlich dachte er mürrisch: Nächstes
Mal werde ich ihm den Mund zunähen müssen.
Gu Yun tastete nach seinem Glasmonokel, aber der kleine
Gegenstand war verschwunden. Er tastete eine halbe Ewigkeit erfolglos herum,
bis eine warme Hand, die seine ergriff.
Chang Geng lehnte sich an sein Ohr und sagte: „General Shen
und die anderen sind noch nicht da. Du musst heute nicht rausgehen, kannst du
also deine Medizin nicht nehmen? Ich werde mich um dich kümmern."
Gu Yun nahm seine Medizin in diesen Tagen ohnehin nicht
allzu oft ein, also nickte er unbekümmert. „Du musst dich nicht um mich
kümmern, ich bin daran gewöhnt. Ich kann mein Monokel nicht finden ‒ geh und
hol mir ein neues."
Chang Geng umarmte ihn fest und weigerte sich, ihn
loszulassen. „Ich habe dein Monokel genommen. Ich werde es nicht zurückgeben."
Ihre Beziehung hatte eine subtile Veränderung erfahren, die
schwer zu beschreiben war. Um die Wahrheit zu sagen, selbst als sie noch
Patenonkel und Patensohn waren, war ihre Beziehung immer unglaublich eng
gewesen. Als Chang Geng in der Hitze des Gefechts seinen amourösen Gefühlen
freien Lauf gelassen hatte, hatte Gu Yun zunächst versucht, ihn durch sanftes
Zureden und Kompromisse abzulenken, bis er sich schließlich ebenfalls
verstrickt hatte. Persönliche Briefe und Kampfberichte waren in einem ununterbrochenen
Strom gekommen und gegangen, und die darin ausgedrückte tiefe Zuneigung konnte
sicherlich als tief empfunden werden ... Doch nichts davon konnte mit der
glühenden Leidenschaft verglichen werden, die sie jetzt empfanden. Selbst wenn
der Feind die Hauptstadt ein zweites Mal belagern sollte, würden sie es aus
ihrem Gedächtnis streichen. Ihre ganze Welt war auf ein winziges Fleckchen Erde
zusammengeschrumpft, auf dem nur zwei lebten ‒ alles andere war unwichtig.
„Warum hast du mein Monokel genommen?", fragte Gu Yun.
Chang Geng lächelte: „Ich mag es."
Vorsichtig half er Gu Yun in seine Kleidung, dann beugte er
sich vor, um ihm in die Schuhe zu helfen, wobei er jede Bewegung genauestens
beobachtete.
Prinz Yan wirkte mit seiner schlichten Kleidung und seinen
asketischen Gewohnheiten immer wie ein Mönch. Diejenigen, die ihn nicht gut
kannten, hielten ihn für einen Ausbund an Tugend. Doch nach dieser letzten
Begegnung erkannte Gu Yun endlich, dass sich hinter der würdevollen Haut dieses
Mannes ein Berg von unaussprechlichen Interessen verbarg, die weit über das
normale menschliche Verständnis hinausgingen.
Was gefiel ihm? Die Tatsache, dass Gu Yun blind war?
Chang Geng war kein besonders lauter Sprecher, und um
sicherzustellen, dass Gu Yun ihn hören konnte, flüsterte er seine Worte direkt
in Gu Yuns Ohr. Sogar Sätze wie „Achte auf die Türschwelle" gaben Gu Yun
das Gefühl, dass sie eng miteinander verwoben waren. Als er die Tür erreichte,
streckte Gu der Blinde instinktiv die Hand aus, um den Türrahmen zu ertasten,
aber seine Hand wurde von Chang Geng sanft, aber unerbittlich abgefangen. „Fass
nichts an", sagte Chang Geng, unnachgiebig. „Halte dich einfach an mir
fest."
Chang Geng hatte fast den Verstand verloren, hypnotisiert
von dieser beispiellosen Kontrolle. Er weigerte sich, Gu Yun auch nur für eine
Sekunde loszulassen. Ab und zu sagte er ein paar Worte und beugte sich dann
vor, um einen Kuss zu erbitten. Er amüsierte sich prächtig und schien dieses
Unternehmens überhaupt nicht überdrüssig zu sein. Gu Yun hingegen wurde bald
von der klebrigen Süße des Ganzen erregt. Der Himmel möge ihm helfen, Gu Yun
verstand es einfach nicht. Bisher war Chang Geng so distanziert und zurückhaltend
gewesen, dass er es unangemessen fand, Gu Yun auch nur anzusehen, während er
ihm beim Anziehen half. Wie um alles in der Welt konnte ein Mann wie er nach
einmaligem Sex so aus dem Gleichgewicht geraten?
Gu Yun lehnte seinen Vorschlag taktvoll ab. „Ich kann nicht
sehen, das heißt aber nicht, dass ich nicht laufen kann. Du musst dich nicht
ständig an mich klammern ‒ bist du nicht unglaublich viel beschäftigt?"
Chang Geng küsste sein Ohrläppchen: „Dann komm mit mir ins
Arbeitszimmer."
Nachdem Gu Yun in den Nordwesten gegangen war, war sein
Arbeitszimmer im Grunde zu Chang Gengs Domäne geworden. Gu Yun befand sich das
ganze Jahr über an der Grenze; als er eintrat, wirkte der Raum einen Moment
lang fremd. Chang Geng half ihm auf einen Stuhl.
Als sie dort saßen und das Sonnenlicht aus dem vertrauten
Winkel auf sie fiel, erinnerte sich Gu Yun plötzlich an etwas. Er streckte sein
Bein aus und stieß mit dem Fuß an einen kleinen Holzschemel, genau wie
erwartet. „Dieses alte Ding ist tatsächlich noch hier."
Chang Geng beugte sich hinunter, um ihn aufzuheben. Auf der
hölzernen Oberfläche des Hockers war in lebhaften Details eine Gruppe kleiner
Schildkröten gezeichnet, die sich gegenseitig in den Schwanz bissen und einen
Kreis bildeten. Neben der Zeichnung standen in kindlicher Schrift die Worte: ‘Solange
die heilige Schildkröte lebt, umgibt sie ihn
zehn zu eins.‘
... Diese Zeilen waren völlig unpassend.
Chang Geng lachte, bis ihm die Puste ausging. Er zog Gu Yuns
Hand zu sich und drückte sie auf die Inschrift. „Was machst du?"
„Lach nicht. Ich habe als Kind nicht viel ernsthaft
studiert." Gu Yuns Augen verzogen sich zu einem Lächeln. „Und das
bisschen, was ich gelernt habe, war im Palast bei Seiner Majestät und Prinz
Wei. Der alte Graf war selbst nicht gerade ein Gelehrter; er las hauptsächlich
Bücher über Militärstrategie. Er engagierte einen pedantischen alten
konfuzianischen Gelehrten, der mir die Klassiker vortrug, aber nach weniger als
einer Stunde schlief ich ein, als ich ihm zuhörte, wie er weiterredete. Ich
musste andere Wege finden, um mich zu amüsieren ‒ oh, du kannst ruhig tun, was
du willst. Ich war schon ewig nicht mehr zu Hause; ich werde einfach ein
bisschen alleine herumlaufen."
„Nein, warte", sagte Chang Geng hastig. „Ich höre dir
gerne zu, wenn du redest. Was ist dann passiert?"
Gu Yun sah verlegen aus. Es war wirklich nichts, worauf man
stolz sein konnte, aber es war selten, dass Chang Geng so unbeschwert war. Nach
kurzem Zögern beschloss Gu Yun, dies als Möglichkeit zu sehen, ihn glücklich zu
machen, und fuhr fort: „Damals war ich der schlimmste Unruhestifter, den man
sich vorstellen kann. Sogar mein Xiansheng hatte Angst vor meinen Streichen.
Aber er hat es nicht gewagt, mir ins Gesicht zu sagen, was ich zu tun habe.
Stattdessen beschwerte er sich hinter meinem Rücken bei dem alten Grafen. Wenn
mein alter Herr mich nicht schlug, bestrafte er mich, indem er mich auf einer
Bank stehend eine Pferdestellung einnehmen ließ, bei der ich beim geringsten
Wackeln umfallen würde. Dieser Bastard war wirklich nicht wie ein richtiger
Vater ... Ich empfand diesen alten Bock als eine verachtenswerte Person, die
mich ständig verpetzte. Also heckte ich mit Shen Jiping einen Plan aus: Wir
klauten etwas Abführmittel und kippten sie heimlich alle in Xianshengs Tee.
Ehrlich gesagt, wäre eine einzige Dosis Abführmittel
vielleicht gar nicht so schlecht gewesen. Aber wir waren beide jung und
leichtsinnig, und Xiansheng war alt und bei schlechter Gesundheit. Er wäre fast
an unserem Streich gestorben. In der zweihundertjährigen Geschichte der Familie
Gu hatte es noch nie einen so bösartigen kleinen Schurken gegeben. Der alte
Graf wurde apoplektisch und wollte mich zu Tode peitschen. Zum Glück hielt ihn
die Prinzessin davon ab ... Oh, aber meine Mutter erzählte mir später, dass es
nicht so war, dass sie mich nicht geschlagen sehen wollte, sondern dass ihr
eigener Körper so schwach war, dass es für sie schwierig war, schwanger zu
werden. Sie fürchtete, wenn ich zu Tode gepeitscht würde, wäre das das Ende der
Blutlinie Gu."
Chang Geng nahm sich einen Moment Zeit, um sich die Szene
vorzustellen. Wenn er ein solches Kind gehabt hätte, hätte er wahrscheinlich
auch versucht, es zu Tode zu peitschen. Aber als er sich daran erinnerte, dass
es sich bei dem fraglichen Albtraumkind um Gu Yun handelte, spürte er, dass er
an der Stelle des alten Grafen, selbst wenn wirklich jemand gestorben wäre, nur
die Möglichkeit hätte, mit seinem eigenen Leben zu bezahlen. Er würde es
niemals übers Herz bringen, Gu Yun auch nur ein Haar zu krümmen.
Nachdem er versucht hatte, sein Lachen zu unterdrücken,
fragte er: „Und was ist dann passiert?"
Gu Yun zögerte; er konnte das Lächeln auf seinem Gesicht
nicht länger aufrechterhalten. Seine heitere Miene verblasste, und nach langem
Schweigen sagte er schließlich: „Und dann beschlossen meine Eltern, dass ich
absolut gesetzlos werden würde, wenn es so weiterginge. Sie nahmen mich mit in
das Lager des Schwarzen Eisenbataillons an der nördlichen Grenze."
Und so hatte seine wilde Kindheit ein schnelles Ende
gefunden.
Erklärungen:
Tai Sui, auch bekannt als der
Großherzog und der Gott des Jahres, ist eine mächtige Gottheit, die das
Schicksal und die Geschicke der Menschen lenkt. In der chinesischen Astrologie entspricht
Tai Sui dem Planeten Jupiter, der einen Zwölfjahreszyklus hat. Jedes Jahr in
diesem Zyklus entspricht einem Jahr im chinesischen Tierkreis. Im Laufe des
Zwölfjahreszyklus von Jupiter wird davon ausgegangen, dass diejenigen, deren
Tierkreiszeichen mit den Sternen übereinstimmen, die Jupiter direkt
gegenüberstehen, Tai Sui beleidigt haben und im Laufe des Jahres Unglück oder
Störungen erfahren werden.
Türgötter oder auch Menshen,
sind in den chinesischen Volksreligionen göttliche Wächter von Türen und Toren,
die vor bösen Einflüssen schützen oder den Eintritt positiver Einflüsse fördern
sollen.
Solange die heilige Schildkröte lebt:
Eine Zeile aus dem Yuefu-Gedicht 龟虽寿 "Lang lebt die
heilige Schildkröte" des Kriegsherrn Cao Cao aus der Zeit der drei Reiche.
…umgibt sie ihn zehn zu eins: Eine Zeile aus Die Kunst des Krieges
von Sun Tzu.
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Nach all der harten Zeit, haben sie endlich mal Zeit für sich. Chang Geng hat es Gu Yun nicht leicht gemacht. Erst war Gu Yun derjenige der den ersten Schritt machte, aber schnell übernahm Chang Geng die Führung. Auch wenn nichts deutlich beschrieben wurde, war da alles so awww und... mir fehlen die Worte, daher lass mich mit Herzen um mich schmeißen XD
AntwortenLöschenIhre Art jetzt miteinander umzugehen hat sich etwas verändert, aber nicht zum negativen. Sie sind sich jetzt noch näher und beide brauchen den jeweils anderen, und wenn sie sich gegenseitig aufziehen und necken. XD
Aber so toll dieses Kapitel auch war, und wie sehr man ihnen diese wundervolle Zeit miteinander auch gönnt... ich traue diesem "Frieden" nicht. O.o Dabei brauchen beide dringend etwas länger Ruhe.
Das Chang Geng sich in diesen Sachen für dominanter herausstellt hätte ich auch nicht gedacht. XD
LöschenLeider ähneln sich in dieser Beziehung Thousand Autumns und Stars of Chaos zu sehr. Sie sind jugendfrei und damit auch etwas für nicht erwachsene Leser.
Die beiden haben endlich den letzten entscheidenden Schritt getan, um ein Paar zu werden, doch das piesacken darf niemals fehlen. Hach ich liebe deren Miteinander. (°◡°♡)#
Die längere Ruhezeit für die beiden wird aber noch SEHR lange brauchen.
Na endlich hatten die zwei Jungs mal miteinander Spaß
AntwortenLöschenYep, doch leider hat die Autorin uns nicht an dem Spaß teilhaben lassen. ☆o(><;)○
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